Mitternachtskinder
erfasste sofort meinen müden Körper, zog mich hierhin und dahin und löschte jeden Gedanken bis auf einen aus:
Tanze.
Wie immer bewegte ich mich auf die Musikanten zu und beobachtete die Muster, denen ihre Körper folgten, während sie Fiedeln, Flöten und Harfen die Melodie entlockten. Ich blieb neben ihnen stehen, schwankte leicht und ließ die dröhnende Trommel den Schlag meines Herzens leiten. Dann wandte ich mich um und betrachtete die zahllosen Feen auf dem Hügel. Ich hatte es für eine gute Idee gehalten, hierherzukommen, weil solche Feste die Zungen lösten und Prahler ermunterten. Doch als ich nun hier war, erstarrte ich angesichts der schieren Anzahl von Tänzern und der ungeheuren Aufgabe, die vor mir lag.
Eine Hand schob sich in meine und riss mich von den Musikanten fort. Taumelnd drehte ich mich um und sah einen der
Daoine Sidhe,
dessen Gesicht und Haar so leuchtend blass waren wie die Unterseite eines Blattes. Ich versuchte mich loszureißen, und mein Magen verkrampfte sich.
»Halt«, sagte er, und eine weibliche
Daoine Sidhe
erschien an seiner Seite. Sie trug ein Ballkleid, dessen Rock aufgerissen war und mit Ketten bedeckte Cargohosen enthüllte. Derjenige, der mich festhielt, fuhr fort: »Ich wollte mich nur vergewissern, dass du es wirklich bist. Ich hielt dich für tot.«
Mit der freien Hand zerrte ich an seinen Fingern. »Und wie kommst du darauf?«
Er beugte sich vor. »Ich dachte, du wärest auch ermordet worden. Wegen deines Umgangs mit Menschen.«
Die Frau schräg hinter ihm zog sich den Zeigefinger quer über den Hals, nur für den Fall, dass ich die Bedeutung des Wortes »ermordet« nicht verstanden haben sollte.
Ich hörte auf, mich gegen ihn zu wehren. »Wer seid ihr?«
Die Frau sagte: »Una. Und das ist Brendan.« Und dann lachte sie, als sei das irgendwie lustig.
Ich kniff die Augen zusammen. »Und weshalb, bitte sehr, interessiert ihr euch für mich?«
Brendan blickte zu den anderen Feen um uns herum.
»Tanz mit uns«, meinte Una, nahm Brendan bei der Hand und bot mir die andere dar.
»Du hältst meine Hand zu fest«, fauchte Brendan sie an, doch er ließ mein Handgelenk los und drehte die Hand als Aufforderung zum Tanz um. Als ich zögerte, fügte er hinzu: »Es geht um den Pfeifer.«
Ich nahm seine Hand.
Wir drei wirbelten in den Tanz hinein, bildeten einen Kreis innerhalb eines Kreises, und Una ließ meine Hand gerade lange genug los, um mit einem Finger über uns herumzuwedeln. Einen Augenblick lang sah ich einen schimmernden Kreis in der Luft über uns, der uns schließlich wie ein leichtes Spinnennetz umgab, als Una wieder meine Hand ergriff.
Ein seltsames Gefühl überkam mich: Es war, als würde mir der Klang der Musik aus den Ohren gepresst, bis er nur noch ein schwaches Summen im Hintergrund war.
»Wir wollen doch nicht, dass uns jemand belauscht«, sagte Una. »Bleib hübsch im Takt, sonst fallen wir auf. Und bewundere mein Können,
Leanan Sidhe
.«
»Das ist beeindruckend«, versicherte ich ihr. »Was ist also mit dem Pfeifer?«
»Es dreht sich gar nicht um den Pfeifer«, entgegnete Brendan. »Das hat sie nur behauptet, damit du mitkommst. In Wahrheit geht es um die Toten.«
»Womit es sich nun doch wieder um den Pfeifer dreht, weil er bald tot sein
wird
«, setzte Una mit strahlendem Lächeln hinzu. »Und du auch. Also dreht es sich ebenso sehr um dich.«
»Zuerst musst du uns sagen, wem du die Treue hältst«, erklärte Brendan. »Der Fee in dir oder deiner menschlichen Seite?«
»Und keine Tricks«, warnte Una mich.
Ihre Hände umklammerten meine fest, während wir uns im Tanz drehten. Ich fühlte mich gefangen. Ich konnte nicht lügen, aber ich konnte ihnen auch nicht die Wahrheit sagen. Was würden diese Feen tun, wenn sie wüssten, was ich empfand? Mein Schweigen fühlte sich an wie ein Schuldeingeständnis.
Mit einer besonderen Befriedigung musterte Brendan mein Gesicht. »Gut. Ich hatte gehofft, dass du den Pfeifer liebst. Die
Daoine Sidhe
hegen eine gewisse Schwäche für die Menschen, doch diesmal brauchen wir sie. Du bist so menschenähnlich, wie es eine Fee nur sein kann, und deine Liebe zu ihm gibt mir noch mehr Gewissheit – wir können also darauf vertrauen, dass du dich auf ihre Seite stellst.«
Meine Stimme klang barsch. »Was wollt ihr von mir? Ich sterbe ohnehin. Ich habe keine Lust, den Dienstboten für euch zu spielen.«
»Unsere neue
Königin …
« Bei diesem Wort klang Brendans Stimme ziemlich giftig. »… fühlt sich
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