Mitternachtskinder
über mich als sonst jemand auf der Welt – diesen Teil ließ ich aus.
Sullivan machte eine besorgte Miene, wodurch eine Falte zwischen seinen Brauen entstand. Er rieb sie mit zwei Fingern, als schämte er sich dafür. »Wegen dir bekomme ich noch ein Magengeschwür. Kannst du dir vorstellen, wie viel leichter das Leben für dich wäre, wenn du einfach nur zum Unterricht gegangen wärst und Klavier spielen gelernt hättest, um dann mit einem Strang lateinischer Auszeichnungen hinter deinem Namen die Highschool abzuschließen? Anstatt, du weißt schon, dich mit einer mörderischen Fee anzufreunden, deren Masche darin besteht, ihren Opfern das Leben auszusaugen? Kannst du wenigstens
versuchen
zu verstehen, womit ich hier zu kämpfen habe?«
»Kellnerin«, warnte Nuala mit sanfter Stimme.
Wir alle verstummten, als die Kellnerin an den Tisch trat, um unsere Bestellungen aufzunehmen. Keiner von uns hatte in die Speisekarte geschaut, und Nuala wusste sowieso nicht, welches Essen wie schmeckte. Deshalb sagte ich nur: »Roastbeefsandwiches und Chips für drei.«
»Für mich ohne Mayonnaise«, ergänzte Sullivan ernst, während er ständig seinen eisernen Ring am Finger herumdrehte.
»Werde ich Chips mögen?«, fragte Nuala mich.
»Jeder mag Chips. Sogar Leute, die behaupten, Chips nicht zu mögen, mögen Chips«, erklärte ich.
Sullivan nickte. »Das stimmt.«
Die Kellnerin warf uns einen verwunderten Blick zu und nahm die Speisekarten mit.
Nachdem sie gegangen war, sagte ich: »Ich will wissen, warum Nuala jetzt essen muss.«
»Warum siehst du
mich
an?«, entgegnete Sullivan. Wir starrten ihn beide an.
»Weil ich Sie für denjenigen halte, der an diesem Tisch am meisten über Feen weiß«, antwortete ich. »Was ziemlich unglaublich ist, wenn man bedenkt, neben wem Sie sitzen.«
Er seufzte. »Ich habe sieben Jahre bei
ihnen
verbracht, also sollte ich ganz gut informiert sein. Ich war der Gefährte einer Hofdame der Königin.«
Es gab eine Menge Feen, die er damit hätte meinen können, aber irgendwie konnte ich nur an eine denken. Nuala und ich lagen offenbar auf einer Wellenlänge, denn sie sagte: »Eleanor.«
»Ich will nicht wissen, woher du das weißt«, meinte Sullivan. »Sag mir nur, dass du mich nicht mit ihr zusammen gesehen hast.«
»Nein«, entgegnete Nuala. »Warum, waren Sie vernarrt in sie?«
Sullivan rieb die Falte zwischen seinen Augenbrauen noch kräftiger. Er sah mich an. »Jedenfalls kann man in sieben Jahren viel lernen, wenn man gut aufpasst. Ich habe festgestellt, dass niemand auf
mich
geachtet hat, wenn ich mit Eleanor erschien. Also konnte ich mich so gründlich umsehen, wie ich wollte. Und was ich gesehen habe, hat mir nicht gefallen. Sie haben Menschen dazu benutzt, andere Menschen zu töten. Schwarze Magie. Rituale, bei denen sich dir die Zehennägel aufrollen würden. Menschen, die sich an … an … seelenlose Vergnügungen verlieren. Nichts hatte dort irgendeine Bedeutung für mich. Es gab keine Zeit. Keine Konsequenzen. Keine … Das Schlimmste war, was
sie
mit Menschenkindern gemacht haben.«
Er schauderte nicht direkt. Er schloss nur halb die Augen und wandte einen Moment lang den Kopf ab. Dann sah er wieder mich an, und sein Blick fiel auf meinen Arm. »Auf deinem Arm sitzt eine Mücke.«
Ich schlug auf die Stelle, auf die Sullivan geschaut hatte, und betrachtete meine flache Hand. Nichts.
Sullivan klang müde. »Das sind wir für
sie,
für die höfischen Feen – Mücken. Das war es, was ich schließlich herausgefunden habe. Wir sind keine gleichwertige Art. Unser Leid ist für Eleanor und ihresgleichen bedeutungslos. Wir sind für sie überhaupt nichts.«
Nuala wandte ein: »Das gilt vielleicht für die höfischen Feen. Aber nicht für uns einzelne Feen. Nicht für mich.«
Sullivan zog eine Braue hoch. »Tatsächlich? Du wolltest nie einen Handel mit James eingehen? Du hattest nur Güte und Freundschaft im Sinn?«
Ich wollte sie verteidigen, obwohl ich wusste, dass er recht hatte. Als Nuala und ich uns begegnet waren, hatte sie in mir nur irgendein neues Opfer gesehen. Aber ich war ebenso schuldig, nicht wahr? Denn sie war für mich nur irgendeine Fee gewesen.
Mit leicht geschürzten Lippen musterte Nuala ihn.
»Hört mal«, sagte ich. »Mir ist klar, dass ihr beiden euch mit Vergnügen über den Tisch hinweg ermorden würdet, aber ich denke, wir könnten unsere Zeit sinnvoller nutzen. Außerdem habe ich offen gestanden wohl nicht genug Geld dabei, um der
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