Mitternachtslöwe (German Edition)
abzuhalten die andere Seite zu erreichen. Schaut nach unten, egal was geschieht!«
»Was finden wir auf der anderen Seite?«, wollte Abaris wissen.
»Das gilt es herauszufinden!« Sophias Vater war bemüht das stürmische Singen des Stroms zu übertönen.
Der Schweif des Plasmas zog vorbei und gab das eisige Feld frei. Sie rannten los. Hand in Hand und den Kopf gesenkt. Sie schritten genau dort wo hunderte, große Zauberer aus allen Epochen der Zeit vor ihnen schritten, es aber nicht schafften dem Strom zu entfliehen, bevor er das nächste Mal die öde Ebene zu seinem Sklaven machte. Aber auch das waren nur Legenden und niemand von ihnen hatte vor selber eine zu werden – nicht hier, nicht so, nicht jetzt.
Die trockene Kälte dort draußen kratze unerbittlich an Sophias Gesicht. Ihre Lippen wurden spröde, der ganze Körper begann taub zu werden und bettelte sich niederlegen zu dürfen. Krampfhaft suchten Sophias Augen den Blick nach links, um zu schauen, ob der Strom bereits heran schnellte. Doch die Sicht in den Westen wurde immer wieder versperrt. Auf der flachen Ebene standen nun hunderte, wenn nicht tausende, Statuen aus kristallenem Eis. Lang streckten sie sich in den Himmel und surrten leise im Wind, wie beim Pusten über einen Flaschenhals.
»Blickt sie nicht an! Schützt eure Augen vor ihren Blicken!«, bestimmte ihr Vater immer wieder.
Es war nur der Bruchteil des Flügelschlags eines Insekts in dem Sophia das starre Gesicht der Kristallsäule erblickte. Sie vergas wo sie war, wer die Menschen waren deren Hände sie hielten, ja sie vergas sogar, dass sie überhaupt jemand hielt und das es jemanden gab der dies hätte tun können. Sie stand vor einem Kristallkäfig der gefangen hielt was ihr am meisten fehlte. Sophia legte ihre Hand auf die eisige Hülle hinter der das regungslose Gesicht Marias lag. Ihr langes Haar weit gefächert und der kleine Körper verdreht, wie eine unfertige Puppe mit zu wenig Füllung.
Sophia klopfte gegen das Eis. Sie schmiss sich dagegen, versuchte alles, um ihre Tochter gewaltsam zu befreien. Als sie den Gesang bemerkte, der sich unter ihr Hämmern mischte, lies Sophia ab. Sie setzte sich neben ihre Tochter und umschlang den eisigen Block, der sie gefangen hielt. Am Horizont begann ein Vorhang aus rosa Schaum herbeizuschwemmen, um das Schauspiel des Lebens abzuschließen.
Nie wieder würde sie glückloser sein, war ihr letzter Gedanke, als sie ein Ruck vom eisigen Trug, den Trul ihr bot, befreite. Sie sah die alten Augen ihres Vaters, wie sie stark nach vorne blickten und sich nicht von den Geistern und Dämonen locken ließen. Er rannte an ihnen vorbei, seine Tochter in den Armen und mit einem beherztem Sprung landeten sie im weichen Gras, bevor das Plasma hinter ihnen das Land von Trul verbrannte und das Tor zu diesem unwirklichen Ort verschloss.
Im Hein des Schäfers
»Wer war sie?«
Das Gesicht ihrer Tochter schwand noch immer von ihrem Auge, wie die geistlosen Flecken beim Blick in zu grelles Licht, dennoch eingebrannt bis tief in Sophias Seele.
»Es tut mir leid dich so enttäuscht zu haben.«
»Sophia, Liebes, wie könnte ich je von dir enttäuscht sein? Egal was geschehen ist – ich habe immer an dich geglaubt und tue es auch immer noch. Du ahnst nicht, wie oft ich selber dem Trug verfallen bin, oh ja. Und immer war es die eine Sehnsucht mit der sie mich lockten. Das warst du, liebste Sophia. Und sieh, wir sind heil davon gekommen, ja selbst Trul«, ihr Vater lächelte Sophia weich an, »Trul, Sophia, kann uns keine Barrieren mehr in den Weg legen.«
Wenn es etwas gab, dass Sophia so an ihrem Vater vermisst hatte, waren es seine einfachen Worte, fast wie Zauberformeln, die er sprach, die ihn so weise, aber vor allem väterlich machten. »Aber«, Sophia sah sich um, »Wo sind wir denn?«
»Jedenfalls nicht mehr im Schatten der Geister und Dämonen, soviel sei sicher«, bemerkte Byrger.
Vielleicht wurden sie doch noch zur Legende. Jetzt und gerade hier. Vom schaumigen Fluss aus Magie rieselte kaum mehr als eine Erinnerung vorbei. Genau wie vom stöbernden Schnee oder den Mimen der Wölfe. Sie wateten durch eine grüne Flut von Gras, so hoch und saftig und dick wuchs es hier, das sich bereitwillig vor ihnen öffnete, als ob jeder Halm sich in Ehrfurcht vor ihnen verneige. Sophia hörte sie flüstern, sich beugen und biegen, tuscheln. Alle Ruhe, jeglicher Frieden entsprang genau hier. Zwar wohnte diesem Ort keine Sonne am Himmel bei, dennoch spürte Sophia
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