Mitternachtslöwe (German Edition)
»Nach einer Weile wird es Euch besser gehen. Ruht jetzt.«
Er wusste nicht wie lange diese Weile dauerte, aber irgendwann sammelten sich Abaris Kräfte zumindest soweit, dass er aufstehen und sich umsehen konnte. Man hatte sie in einem stählernen Käfig gesperrt, wie Vieh auf engstem Raum. Zwar befand sich dieser unter freiem Himmel, doch im Firmament gähnte trostlose Leere. Kein Stern traute sich hervor, vom Mond ganz zu schweigen. Seit Tagen hatten sie keine Sonne gesehen und Abaris rechnete nicht damit, dass sie gerade hier ihr warmes Lächeln zeigen würde.
Etwas abseits ihres Gefängnisses prasselte ein Lagerfeuer um das einige Gestalten saßen. Abaris konnte sie nicht erkennen, aber es mussten die Männer sein von denen sie im Wald angegriffen wurden. Außer dem Feuer schien es noch ein paar Hütten zu geben, deren Umrisse er zu erkennen vermochte.
Neben Byrger und ihm saßen noch andere im Gefängnis fest. Allesamt Männer, abgemagert, schmutzig und mit Gesichtsausdrücken, die weder Hoffnung, noch einen letzten Funken Lebenswillen zeigten. Sie saßen am rostigen Gitter, rührten sich nicht und starrten in die Leere.
In einer Ecke erkannte er Odilo. Zitternd und mit Tränen im Gesicht kauerte er am Boden. Das erste Mal, dass Abaris ihn nicht grinsen sah. Ab und zu murmelte er einen Namen: ›Emma.‹
Am anderen Ende des Kerkers sah Abaris was ihm beim Aufwachen solch Übelkeit bescherte. Die Leichen zweier Menschen lagen dort. Ihre Gliedmaßen waren unnatürlich abgeknickt, so als hätte man versucht sie auf möglichst engem Raum zu packen. Übersät von Maden und Fliegen, die sich durch das faulige Fleisch fraßen, mussten sie schon Wochen dort liegen. Neben den Überresten saß ein alter Mann. Er starrte nicht wie die anderen Männer, seine Augen waren erloschen, kalt und ohne Leben. In den Armen hielt er ein kleines, zernagtes Stück Fleisch, ruhig wiegend, dass er ab und zu sanft auf die Stirn küsste.
Abaris fing das Herz an zu klopfen. Das pure Entsetzen und die Wut gegen jene, die dieses zu verantworten hatten, trieben ihm das Blut unter Hochdruck durch den Körper.
Eine Hand legte sich ihm auf die Schulter. »Ich weiß es ist grausam, aber verliert Euch nicht in Hass. Er führt nur zu Taten die nicht minder schlimmer sind als jener Zustand hier«, sagte Byrger.
»Wo sind wir?«, wollte Abaris nun endlich wissen.
»Wir sind Gefangene des Regimes«, antwortete Byrger ohne die Miene zu verziehen.
Abaris schluckte. Dies war sie also, die gnadenlose Realität, die Wahrheit über das Regime des Adlers. So führten sie ihren Krieg, das waren ihre Methoden. Er dachte er hätte die Grausamkeit des Regimes erlebt, doch war das, was er bislang gesehen hatte, nur eins der kleinsten Zahnräder im Getriebe des Krieges. So war ihre Reise also schon am Ende. Sie hatten es nicht einmal bis zu ihrem ersten Ziel geschafft.
»Wo ist Sophia?«
»Sie war nicht hier, als ich erwachte. Sie werden sie wo anders untergebracht haben«, sagte Byrger.
Das bereitete Abaris Sorgen. Er wollte nicht daran denken, was diese Leute mit ihr anstellen würden.
Hoffentlich geht es ihr gut.
»Was machen wir nun?«, fragte Abaris.
»Sophia finden und hier irgendwie rauskommen«, sagte Byrger, als wäre dieses Vorgehen ganz natürlich und ebenso einfach.
Einer der Mitgefangenen, ein dürrer, langer Kerl mit sehr schlechten Zähnen, fing an zu Lachen, was schließlich in einem Husten endete. »Rauskommen ist ganz einfach«, sagte er und strich sich mit seinem Handstumpfen die fettigen Haare aus dem Gesicht.
»Und wie?«, fragte Abaris schroff.
»Entweder ihr schließt euch diesen Teufeln an oder ihr sterbt einfach«, sagte der Mann, in einem selbstsicheren Tonfall, als wollte er ihnen gleich Eintrittskarten für ein der genannten Möglichkeiten anbieten. Der Dürre wollte erneut zum Lachen ansetzten, doch brachte er diesmal nur ein feuchtes Husten hervor.
»Eher ein Dilemma als eine vernünftige Lösung«, sprach Byrger.
»Das sind eure Möglichkeiten«, fuhr der Gefangene mit Verkäuferstimme fort, »So ist es immer. So machen sie es. Sie fangen alle, sperren sie ein. Wer sich unterwirft und für sie kämpft, überlebt, alle anderen lassen sie verhungern.«
»Sie geben euch nichts zu essen?«, fragte Abaris entsetzt.
»Na ja, sie lassen die Toten eine Weile liegen...«, flachste der Dürre.
Abaris merkte, wie die Übelkeit wieder in ihm hochstieg, aber er konnte sich beherrschen.
»Ist nicht jedermanns Sache. Ich
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