Mitternachtslöwe (German Edition)
erschütterte und begann zur Seite zu kippen. Die Deichsel brach auseinander und die Pferde rannten aufgeregt davon. Die gesamte Kutsche überschlug sich mehrere Male, schlitterte über die Straße, Sophia mittendrin.
Als alles zum Stillstand kam, lagen überall verstreut Teile der Kutsche. Ihre Verfolger trabten auf ihren Pferden heran und stürzten sich auf sie.
»Genug! Lasst sie!«, brüllte eine Stimme.
Sophia sah, wie ein Paar dunkle Stiefel vor sie traten. Sie schwächelte, konnte kaum den Kopf heben, um das Gesicht zu sehen, das irgendwo jenseits der Stiefel sprach. »Schmeißt sie in die Zelle! Alle!«, hörte sie als Letztes, bevor sie in Ohnmacht versank.
Adler fangen keine Fliegen
Ungeduldig ließ Johannes die Schreibfeder in seiner Hand rotieren. Er fand einfach keine Ruhe. Seit dem Tag, an dem seine Tochter zusammen mit seinem besten Freund Byrger Tidesson und Abaris Eiwar aus dem Süden loszog, kamen ihm die Tage unerträglich lang, und die Nächte, in denen er vor lauter Gedanken die in seinem Kopf herumgeisterten nicht einzuschlafen konnte, umso länger vor. Immer wieder fragte er sich ob alles seine Richtigkeit haben mochte. Die Übersetzungen, die Deutungen der Runen, die Schlüsse die er und Byrger aus den Texten Paracelsus' und der Runensteine gezogen hatten. So saß er Tag für Tag an seinem Schreibtisch, nochmals minutiös jede Schrift, jeden Hinweis prüfend. Doch es passte alles zusammen und er wusste genau warum er sich selber so verrückt machte. Um sich selber zu beruhigen, dass sie nicht überstürzt gehandelt hatten, aber vor allem, weil er sich um Sophia Sorgen machte.
Er war ein alter Mann und seine Tochter das Wichtigste in seinem Leben. Sicher war er in seiner Arbeit, die Bereitung des Wegs in eine neue Welt, aufgegangen, doch ohne Sophia wäre er wohl nie soweit gekommen. Nicht nur, weil sie selber ein Teil des Ganzen war, sondern weil sie ihm stets die Kraft gab weiterzumachen und er nicht wollte, dass sie in einer von machtbesessenen Wahnsinnigen regierten Welt leben musste. Ironischerweise war sie selber es, die nun daran war ihre Welt vor diesen Machtbesessenen zu verteidigen.
Johannes legte die Feder nieder. Einen Moment wärmte er sich am prasselndem Feuer des Kamins und ging dann zum großen Fenster. Draußen tobte ein ungemütliches Wetter. Starker Wind ließ die Regentropfen gegen die Scheibe prasseln. Sie schlossen sich zu immer größer werdenden Rinnsalen zusammen, die in einem Wettkampf versuchten schnellstmöglich den unteren Rahmen des Glases zu erreichen.
Von der Straße kam eine Person, der Statur und des Gangs nach ein Mann, auf das Gebäude zu. Eilig huschte er die Treppe hoch und betrat die Bibliothek. Johannes fragte sich, wer bei diesem Wetter hier aufkreuzen mochte. Diese Frage wurde ihm kurz darauf beantwortet, als es an der Tür klopfte und ein alter Bekannter hineintrat.
»Hallo Johannes. Was machen die Runen?«
»Georg, mit dir hätte ich am allerwenigsten gerechnet.«
Georg Stiernhielm, einst Schüler Bureus', verbrachte die letzten Jahre auf kleinen, britischen Inseln, um die dortigen Runensteine zu untersuchen. Zwar war er von Bureus Arbeiten sehr beeinflusst, hatte aber nach seiner Lehrzeit bei seinem Mentor eigene Theorien zu den Runen und ein eigenes Runensystem erarbeitet. Dies führte dazu, dass sie sich immer mehr voneinander distanzierten. Allein die Anwesenheit Georgs sorgte dafür, dass sich die Luft zwischen ihnen mit Spannung füllte.
Georg hatte sich in den letzten Jahren sehr verändert. Nie hielt er etwas von Bärten, weshalb es Johannes wunderte, dass ihn nun ein Knebelbart schmückte. Zwar war er in die Jahre gekommen, sodass das eine oder andere graue Haar herausstach, doch von seinem langen, gewellten Haupthaar hatte er nichts eingebüßt.
»Du scheinst ja wirklich begeistert zu sein mich zu sehen.« Georg trat an Johannes' Schreibtisch und begutachtete die Zettel, Bücher und Karten die darauf lagen. »Immer noch auf der Jagd nach deinem Löwen? Dass du nach all den Jahren noch nicht müde geworden bist und aufgegeben hast ist wirklich erstaunlich.«
Ein höhnisches Grinsen fuhr Georg über die Lippen, doch Johannes hatte nur darauf gewartet, dass er dieses Thema ansprechen würde.
»Nein Georg, ich jage dem Löwen nicht mehr hinterher«, sagte er verwegen, »Der Bund der drei ist komplett und auf dem Weg ihn zu erwecken.«
Schlagartig entglitt Georg das Grinsen. »Du beliebst zu scherzen, alter Freund.«
»Ganz und
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