Mitternachtslöwe (German Edition)
tobenden Krieges war das Erwachen Abaris' ein kleines Wunder und ein Moment des höchsten Friedens. Wie ein Zeichen, dass der Weg den sie beschritten der richtige war. Es mochte kommen was wolle, ihre Gemeinschaft, ihre Familie, hielt zusammen.
»Könnte ich vielleicht etwas zu essen bekommen«, fragte Abaris, »Mein Magen knurrt, als hätte ich Tage nichts gegessen.«
Sophia und die anderen fingen lauthals an zu lachen.
»Was...? Was denn?«
Am Morgen darauf versammelten sich die Gruppe vor der Hütte. Mimmi wollte ihnen etwas zeigen, dass sie vielleicht auf ihrer Reise weiter bringen könnte. Odilo entschloss sich solange bei Maria in der Hütte zu bleiben. In der Nacht hatte der Regen nachgelassen und es nieselte nur noch ein wenig. Auf den Gräsern und Sträuchern sammelten sich kleine Tropfen die gemächlich hinab perlten und in schmalen Rinnsalen entlang bis in die Wasser des Moores einflossen.
Abaris betrachtete eine Schnitzerei im Holz über der Tür zu Mimmis Hütte. Ihm war so, als hätte er diese Form schon einmal gesehen. »Sophia? Sag, ist das da nicht eine Rune?«, deutete er auf die Riefen.
»Tatsächlich«, sagte Sophia verwundert, »Das ist Sol. Wirklich gut erkannt.«
Innerlich war Abaris ein wenig stolz darauf die Rune entdeckt zu haben.
»Viele Bauern haben die alten Runen über ihren Türen eingeritzt. So fühlen sie sich von den Göttern beschützt. Ich denke in diesem Fall soll die herab scheinende Sonne eine gute Ernte bringen. Sol ist die höchste Sonne im Himmel und steht außerdem für die Seele oder den Sohn. Im Ascendus ist Sol die zweite Stufe zum Aufstieg.« Einen Moment schaute Sophia grübelnd drein. »Dass man sie sogar hier im Deutschen Reich findet, ist wirklich interessant.«
»Der Ascendus?«, schwenkte Abaris gedanklich zurück. Diese Sache interessierte ihn wirklich sehr.
»Ja, nach Byrghal kommt Sol. Jener der auf den Weg des Ascendus schreitet, muss von der Materie ablassen und die höchste Sonne, also das für ihn Wichtigste, das in dem seine Seele aufgehen kann, erkennen. Nur so wird er seinen Weg fortsetzten können.«
Abaris überlegte was dieses „Wichtigste“ wohl bei ihm sein möge. Lange Zeit erfüllte sich sein Leben im Dasein eines Priesters. Zwar hatte er seinem Glauben vor langem entsagt, war dies doch aber nur, um in den Kampf gegen das Regime zu ziehen.
Mimmi trat Abmarsch bereit aus der Hütte. »Wut wi los?«
»Wo gehen wir denn eigentlich hin?«, fragte Abaris.
»Zum Schwarzen Berg.«
Geigers Basar
»Parole?«
»Wer hat Begehr, dem fällt nicht schwer, hinab bei Nacht, es ist vollbracht.«
Die kleine Schiebetür schnappte zu. Schlüssel rasselten. Dicke Eisenriegel wurden bewegt. Schwerfällig öffnete sich die massive Holztür.
Dass er sich nach all den Jahren noch an dieses abtrünnige Losungswort erinnerte, und dass es immer noch Gültigkeit besaß, verwunderte Johannes Bureus doch sehr. Schnell trat er hinein. Vorsichtig ging er die Wendeltreppe hinab, während über ihm die Holztür laut zuschlug.
Hier unten lag ein muffiger Geruch in der Luft. Johannes erinnerte sich. So war es schon damals gewesen. Um so tiefer er hinab schritt, um so abgestandener roch es, als würde man den Keller eines längst verlassenen Hauses betreten, in dem sich sogleich die Familiengruft befindet.
Am Fuße der Steintreppe angekommen, ging er weiter den Gang entlang. Finster und feucht schlängelte sich der Korridor unter den Straßen hindurch. Selbst die alten Kisten und Weinfässer verrotteten immer noch hier und dort an den Seiten.
Schummriges Licht verscheuchte allmählich die Dunkelheit. Als Bureus um die nächste Ecke trat, entfaltete er sich in vollem Ausmaß vor ihm: Geigers Basar.
Ein Anblick den Johannes Bureus schon seit Jahren nicht mehr vor die Augen bekommen hatte. Auch dieses Mal versetzte es ihn in Staunen. Unzählige kleine Straßen und Gassen wanden sich durch den Fels. Schon vor Jahrhunderten in den Stein gehauen, wie eine gigantische Skulptur, die dazu einlud durch sie hindurchzuschlendern und sie von jedem Winkel aus zu bestaunen. Mehrere Stockwerke hoch zogen sich die Wände durch das Gestein. Bis hinauf in schwindelerregende Höhen schlugen schmale Brücken Wege über die Schluchten.
In den untersten Etagen boten dutzende Geschäfte und Stände ihre Ware feil. Von in Dachsfett eingelegter Flachlandforelle, bis hin zum magischen Federkiel mit fünf selbstwechselnden Farben aus handgepresstem Regenbogenextrakt. Ob
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