Mitternachtslöwe (German Edition)
er... ist ein guter Zauberer, aufmerksam und gewissenhaft.« Besorgt, gar verzweifelt bis ratlos regte sich jeder seiner Muskeln im Gesicht. »Doch er ist zu unerfahren. Kjäll verstand nicht warum ich es ihm verbot an jenem Tag mitzukommen. Seine letzten Worte die er zu mir sprach waren ›Deine Strenghaftigkeit gegen dich selbst übertrifft sich nur in der deines eigen Blutes gegenüber.‹« Byrgers Gesicht fiel zurück in die steinerne Mimik eines schlafenden Bergriesen. Er atmete schwer aus. »Nicht einmal dein Vater kennt diese Geschichte.«
Byrgers Gemüt lockerte sich. Die Worte auszusprechen, welche ihm schon so lange wie heißer Kerzenwachs auf der Seele brannten, befreite seinen Geist. Es war gut, einfach gut. Und er ärgerte sich, dass er bislang zu streng zu sich selbst war, mal wieder, genau so wie Kjäll es ihm gesagt hatte.
»Bereust du es an jenem Tag deinen Sohn nicht mitgenommen zu haben?«
»Ja und nein. Zu gerne hätte ich ihn an meiner Seite. Doch diese Reise ist meine Bestimmung und ich werde erst zu meiner Familie zurückkehren können, wenn ich meine Pflicht hier getan habe. Und auch du musst erst deinen Teil beitragen. Das ist unser aller Los, die Bürde die uns aufgetragen ist. Lass sie hier, Sophia. Hier ist sie sicher. Ganz Ulm ist eine Festung, das hast du selber erlebt. Einen besseren Ort mitten im Krieg, um sie zu behüten, wirst du nicht finden.«
Sophia wischte sich die Tränen von den Wangen. Sie lächelte. »Wie könnte ich den Rat eines weisen Zauberers ablehnen. Du hast ja recht. Wenn die Zeit gekommen ist, wird alles gut.« Sie starrte durch Byrger hindurch. Ihre Augen wurden glasiger, ihr Lächeln verkümmerte zu einem schmalen Tupfen blassen rots. »Doch was ist mit Vitus?«
»Vitus wird uns verfolgen, das ist sicher, und wenn er einen Kampf will wird er ihn kriegen. Auf Gedeih und Verderb.«
Man
Das Licht der Nacht
der Mensch als Maß aller Dinge
und das Zentrum der Welt
Mond, Mann, Stille
Aus Kindertagen
Der alte Samson schüttelte wieder einmal die Mähne. Gediegen zog der Haflinger den kleinen Planwagen die Straße entlang. Der Kutscher tat keine Mühe das Tier anzutreiben. Unbekümmert korrigierte er ab und zu, und nur wenn es wirklich nötig war, mit den Zügeln die Richtung seines Zugtieres. Eines Totenmanns gleich, in mattem Schwarz gehüllt, hob sich nur ein kleiner Fleck von seiner Uniform ab, vorne auf der Kopfbedeckung. Ein silberner Adler.
Die Morgensonne warf einen Blick über den Rand der Welt. Wie ein großes, orangenes Auge spähte sie in das Land, lies ihre goldenen Wimpern immer höher in den Himmel, die weiten Felder und die karg belaubten Wälder hineinwachsen, als wolle sie die Welt liebevoll mit ihnen wach kitzeln.
»Ich verstehe nicht wie die so etwas tragen können«, sagte Sophia und trat unter der Plane hervor. Sie zupfte den Federmantel ein wenig zu recht und setzte sich neben Abaris. »Geschweige denn wie man darin kämpfen soll.«
Ihr Freund reagierte nicht. Verbissen, mit müder Miene, konzentrierte sich Abaris auf die Straße.
»Soll ich dich ablösen? Du siehst erschöpft aus.«
»Nein«, sprach Abaris forsch, »Alles in Ordnung.«
»Ist es immer noch wegen deines Stabes?«, fragte Sophia mit Bedacht.
Doch Abaris antwortete nicht. Er steuerte den Wagen aufmerksam durch die nächste Kurve. »Was glaubst du ist der Mitternachtslöwe?«, brach er dann doch sein Schweigen.
Ein wenig überraschte Sophia seine Frage. »Ich bin mir nicht sicher«, gestand Sophia, »aber ich denke es wird jemand sein, der den Menschen den richtigen Weg weißt, der den Unterdrückten, den Schwachen und den Hoffnungslosen zeigt, dass diese Welt nicht verloren ist, sondern von uns gemeinsam vom Regime befreit werden kann.«
Abaris ging nicht darauf ein. Auf Sophia wirkte er, als habe er nur nachgefragt, um sich ablenken zu lassen, um das Grübeln welches sichtbar hinter seiner Stirn murrte zu verbergen.
»Und du? Was ist in deinen Augen der Löwe?«
»Hm?«
»Der Löwe... was glaubst du ist er?«
Abaris' Gedanken streiften in anderen Gefilden. Es dauerte ein paar Sekunden bis sie den Weg zurück auf den kleinen Feldweg, auf die Sitzbank der Kutsche und schließlich in den Kopf des Südländers fanden. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass weder ein einzelner Mensch oder eine einzelne Sache das Regime stoppen kann. Es muss auf jeden Fall etwas sehr Großes und Bedeutendes sein, wenn es wirklich etwas bewirken
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