Mitternachtslöwe (German Edition)
fidele Mädchen trug auch heute noch einen ihrer selbstgebastelten und wunderschönen Schmetterlinge im buschigen Haar, was sie einfach unverwechselbar machte. Viele Mädchen, darunter auch Sophia, waren stets sehr neidisch auf die kleinen Kunstwerke und jeder schätzte sich unsagbar glücklich, wenn er einen der tollen Papierfalter als Geschenk von Luna erhielt. Damals waren sie ein unzertrennliches Gespann, fortwährend auf der Suche nach Abenteuern. Sie hatten sich Jahre nicht gesehen und dennoch war es so, als jagten sie erst gestern im alten Haus am See nach Gespenstern.
»Fast hätten wir mal eins erwischt«, erinnerte sich Luna zurück, »Weißt du noch?«
»Ich erinnere mich daran durch die Luft geflogen und im See gelandet zu sein, wenn du das meinst.« Sophia versuchte ernst zu bleiben, aber brach zusammen mit ihrer Freundin in Lachen aus. Als junge Mädchen begannen ihre heimlichen, nächtlichen Ausflüge stets mit einem Kribbeln im Magen und endeten meist mit einer schauderhaften Begegnung ihrer sorgsamen Eltern und deren weitschweifigen Reden über Moral, Sitte und Anstand – alles Dinge die junge Damen ihres Alters zu pflegen gedenken sollten. Doch bezweckten diese Worte eher das Gegenteil bei den beiden und sie dachten nicht im Entferntesten daran sich wie feine Damen aufzuführen.
»Ich war vor einigen Jahren nochmal dort. Entweder haben wir uns das damals alles nur eingebildet oder wir haben die Geister verscheucht«, sprach Luna.
»So oft wie wir dort waren, Nacht für Nacht, würde es mich nicht wundern, wenn die Gespenster vor uns Reißaus genommen hätten.« Sie kicherten, wie damals nach einem vorzüglich, geglücktem Schabernack.
Gemeinsam machten sie Rast im Schutze einer Waldschneise. Schnell begann es zu dämmern und während sie in der Vergangenheit schwelgten hüllte sie die Nacht ein, wie die dunklen Tatzen eines jungen Kätzchens seinen Fang sicher verwahrte. Langsam öffnete sich die Kuppel aus schwarzem Pelz einen Spalt weit und die glitzernde Sichel eines Katzenauges schaute neugierig ihrem Tuen zu.
Abaris und Byrger saßen dicht am Feuer. Mit einer schnell zusammengemischten Farbe aus Ruß und Asche färbte Byrger sich den Bart, was ihm gar nicht gefiel. Auch Abaris gefiel es nicht, aber eher wohl entgegengesehen der Tatsache, dass das Ergebnis nicht besonders natürlich aussah. »Wollt ihr Euch vom ersten Trupp Federmäntel, der unseren Weg kreuzt, aufknüpfen lassen? Lasst mich Euch doch helfen!«, sagte Abaris ungeduldig.
»Eines jeden Zauberers Bart ist sein persönlich Heiligtum. Es ist schon Demütigung genug ihn so verschandeln zu müssen!«, wies Byrger ihn taktlos ab.
»Wo hast du die zwei nur aufgegabelt?«, schmunzelte Luna.
»Sagen wir es sind Freunde der Familie.« Auch Sophia griente breit. »Es ist schön dich wiederzutreffen Luna, aber sag, was machst du hier? Mitten im Deutschen Reich?«
»Für gewöhnlich verdiene ich mein Geld mit meinem kleinen Laden.« Sie zeigte hinüber zu dem bunten Wohnwagen. »Ich verkaufe allerhand Sachen, kleine Zauber, ein bisschen Hexenwerk und dergleichen.«
»Auch deine Schmetterlinge?« Sophia schielte mit den Augen auf den großen Falter in ihrem Haar. Er glänzte wunderschön, schimmerte im Licht des Feuers von hellem türkis bis in ein meeres-tiefblau.
»Ja, die mache ich immer noch. Der hier allerdings...«, sie nahm den Schmetterling vorsichtig auf die Hand, »ist weder aus Papier, Holz oder Stein.« Luna streichelte behäbig über seinen Körper. Ruhig bewegte der schimmernden Flieger seine Flügel. Er machte einen Satz in die Luft und glitt auf lautlosen Schlägen wieder in ihr Haar zurück. »Aber in diesen düsteren Tagen ist es nicht klug sich hier rumzutreiben und nun bin ich auf der Flucht nach Frankreich.«
»Aber dein Französisch ist grauenhaft!«, scherzte Sophia. Es fiel ihr schwer in Lunas Gegenwart ernst zu bleiben.
»Ja«, lachte Luna, wurde dann aber ernster, »Aber mein Verlobter wartet dort auf mich. So hoffe ich es. Er ist Soldat, irgendwo mitten in Frankreich an der Front.« Ihr starrer Blick schweifte traurig hinauf zum Himmel. »Meine Familie ist... sie haben es nicht geschafft. Und nun ist das einzige was mir bleibt die Hoffnung auf ein letztes Wiedersehen mit meinem Geliebten.« Luna, die immer so frohe Luna, kämpfte mit den Tränen. »Und was ist mit euch? Wohin wollt ihr?«
»Über die Alpen nach Italien. Wir haben dort... etwas zu erledigen.«
Ȇber die Alpen? Klingt nach einer
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