Mitternachtslöwe (German Edition)
nieder, gewaltig in der Spannweite. Kurz schwebte er über ihnen, um dann wieder in die Lüfte hinauf zu stoßen mit Vitus an einer Strickleiter baumelnd, schmierig grinsend und winkend.
Der Schein des Tages fiel über die Nacht her. Erstes Licht am Horizont klopfte freundlich an die Dächer Ulms, doch deren Bewohner kamen erst jetzt, und das seit Wochen, zur Ruhe. Im Kloster legte der Schlaf eine letzte Runde ein, wissend dass ihn die Strahlen am Himmel zum Aufbruch forderten.
Byrger Tidesson wusch sich ein letztes Mal die Hände und das Gesicht bevor er sich auf den Weg zu seinem Zimmer machte. Im Kreuzgang saß Abaris. Grämend schaute er auf die Granitplatten am Boden.
»Was macht Eure Verletzung?«
Trübe rieb Abaris sich die Hand, blieb stumm.
»Ihr solltet das neu verbinden lassen sonst...«
»Er hat seine Macht verloren«, unterbrach ihn der Südländer, »So sehr ich mich mühe, kein Fliegen, kein Entschwinden, kein Heilen.« Missmutig stierte er auf seinen Stab neben sich. Matt und zerkratzt und ohne Glanz.
»Ihr seid zu sehr darauf verharrt den materiellen Dingen Wert zuzuschreiben.«
»Ich? Und Paracelsus' Schätze? Nur wegen ihnen sind wir doch hier, oder?«
»Glaubt ihr wirklich es ginge je darum ein Fläschchen mit einer Tinktur zu finden? Herr Abaris, die Schätze zeigen uns lediglich, dass wir die richtige Richtung einschlagen und unserem Ziel näher kommen. Vergeudet nicht alle Zeit damit die Werte der Welt an greifbaren Dingen zu bestimmen.«
Abaris seufzte. »Was bleibt mir sonst auch anderes übrig...« Er griff seinen Stab und ging auf sein Zimmer.
Im selben Moment öffnete sich die Tür daneben. »Keine Sorge, ich bin gleich hier vorne. Es kann dir nichts passieren. Schlaf gut.« Sophia schloss lautlos die Tür.
»Du solltest auch etwas schlafen«, sagte Byrger.
Sophia lehnte sich gegen die Tür und legte ihren Kopf in den Nacken. Sie schloss die Augen. »Wie könnte ich zur Ruhe kommen? Soviel ist geschehen in den letzten Stunden.« In Sophias Ton rauchte die Trauer aus ihrem Herzen hervor. »Odilo haben wir verloren, auf zweierlei Art. Zwar ist der Schatz gefunden, der Würger tot, doch Vitus lebt und Maria wäre ihm fast zum Opfer gefallen und Lilith... ich weiß nicht was mit ihr ist, wo sie ist. Sie scheint auf einmal...«
Stets bewunderte Byrger die Stärke Sophias. Diese junge Frau nahm in ihrem noch jungem Leben schon einige Lasten auf sich, seit ihrer Kindheit. Doch auch der tapferste Krieger, sei er noch so stark, ist nicht gefeit vor dem Kampf mit sich selber. Eine Schlacht in der weder Muskeln noch Geschick entscheiden, vielmehr sind es die Freunde und die Familie, welche diese zu gutem Ende führen. In diesem Moment standen sie allein auf dem Feld und Byrger war der einzige Kriegsherr gegen Kummer und Selbstzweifel. Er nahm Sophia fest in die Arme. Das Mädchen schluchzte sich an seiner Schulter aus. Ihr Herz pochte wild gegen seine Brust.
»Ich wollte es Byrger, ich wollte, dass sie kommt und ihn bestraft. Ich wollte Maria beschützen, aber es geschah nichts. Ich sah die Zukunft, so wie es sonst nachts in meinen Träumen geschieht. Doch diesmal war alles anders. Realer. Ich verlor Maria an Vitus und diesen grauenhaften Wolf. Ich habe schreckliche Angst, dass dies wahr werden könnte. Ich kann sie nicht hier lassen. Du hast Vitus gehört, er wird nicht ruhen ehe er uns alle getötet hat.«
»Doch der Würger ist nicht mehr, also wird auch deine Vision sich nicht bewahrheiten. Siehst du, du hast bereits eine bessere Zukunft geschaffen, wir alle, wir drei. Der Weg den wir beschreiten ist der richtige. Komm, lass uns ein paar Schritte gehen, das vertreibt die schlechten Gedanken.«
Stimmlos gingen sie den Kreuzgang entlang, bis sie im Garten des Klosters standen. Von den Ziegeln des Glockenturms perlten kleine Tautropfen hinab, die letzten Zeugen des Ulmer Triumphs über das Regime, stürzten sich in die Tiefe, sich selbst den Freitod schenkend. Plitsch, platsch, wie eine Scharr regengetraufter Lemminge.
Immer wieder fuhr Byrgers Hand durch seinen langen, weißen Bart. Wieder und wieder. Und dann erleichterte sich sein Herz von dem wovon er lange glaubte es nie aussprechen zu können.
» Es war der Tag des großen Unfalls, zu Zeiten, als der Ahne über Schweden regierte. Legenden und Mythen für die einen, ist es doch das Gestern für mich. Mein ältester Sohn Kjäll ist gerade erst in den hohen Kreis der Magier aufgenommen worden. Ich bin sehr stolz auf ihn,
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