Mitternachtslöwe (German Edition)
herbei. »Trag hinauf mich, Böh' und Wind, bring hinfort mich, ganz geschwind.« Über sich, an der Hand, lies sie einen großen, roten Schmetterling fliegen. »Schau was Luna mir geschenkt hat.«
Sophia wischte sich schnell die Tränen weg, um sich nichts anmerken zu lassen.
Die Flügelblätter aus Seidenpapier schimmerten im Feuerschein, wie die Glut selbst. Prachtvolle Muster verzierten sie, geschwungene Linien und Kreise die in eins übergingen. Am Ende verschmolzen sie mit dem Kopf und wuchsen als Fühler wieder aus ihm heraus, die im Rhythmus von Marias Tänzeln mitwippten. »Luna sagt, das sind magische Zeichen gegen böse Geister. Man muss sie abmalen und da verstecken wo sie schützen sollen.« Sie reichte Sophia ein kleines Stück Papier mit einer in Kohle gezeichneten, verschnörkelten Form darauf.
»Danke, ich werde es am Herzen tragen.«
Gemeinsam gingen sie zum Lager zurück und setzten sich zu den anderen ans prasselnde Feuer. Byrger versuchte Abaris zu entlocken wie er zu jener Zeit im Labyrinth gelandet war. Aber der Mann aus dem Süden schwieg dieses Thema ausschweifend aus. Immer wieder an diesem Abend sah Sophia ihn unter seinen Mantel greifen und nach seinem erloschenen Stab tasten. Wie ein Besessener, der Angst um seinen liebsten Schatz hegte. Er lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. »Wie denkt Ihr über den Löwen? Was glaubt Ihr ist er?«, fragte er an Byrger gewandt, womit er dessen philosophische Ader anstach.
»Eine Verheißung wie der Mitternachtslöwe gleicht einem Feuer.« Byrger blickte tief in das Gewirr aus Flammen. Zufrieden knackte und knisterte es, als würde im Inneren ein gutgelaunter Feuerdämon die kleinen Äste einzeln entzweien und voller Genuss verschlingen. Byrger legte einen Scheit nach. »Es braucht eine Weile, bis es gute Flammen schlägt. Kümmert man sich nicht darum, verkommt es zu einem stummen Glimmen. Und am Ende bleibt nichts weiter als ein Häufchen trister Asche zurück. Doch schürt man das Feuer«, Byrger stocherte mit einem Stock in der Glut, »lebt es auf, spendet sowohl Wärme, Geborgenheit als auch Zuflucht.« Winzige Funken stiegen in die Luft auf, glutentbrannter Atem vom dämonischem Geist. »Der... Mitternachtslöwe«, Byrger strich durch seinen Bart, »wird einem Leuchtfeuer gleich. So groß, hell strahlend und wegweisend, dass selbst die entlegensten und dunkelsten Orte von ihm Licht empfangen werden. Als höheres Wesen wird allein er in der Lage sein das Böse aus der Welt zu vertreiben. Sein goldenes Licht wird alles überstrahlen und den Menschen dieser Zeit Wärme, Geborgenheit und Zuflucht gewähren, aber vor allem Hoffnung auf eine gesunde und freie Zukunft.«
»Solange sein Feuer den General zu Asche verbrennt, soll es mir recht sein«, sprach Abaris salopp.
Bald legten sie sich schlafen. Luna bereitete in ihrem Wagen aus einem Ballen Wolkenstoff und ein paar Strohmatten ein Bett für Sophia und Maria. Die Männerschaft blieb draußen, freiwillig, und schob Wache.
Maria kuschelte sich gerade mit unter die Decke, als Sophia einen Entschluss fasste. Sie nahm ihren Dolch samt Scheide und legte ihn Maria in die Hand. »Hier, ich vertraue ihn dir an«, flüsterte sie ihr ins Ohr, »Pass gut darauf auf und benutze ihn nur, wenn es wirklich nötig ist.«
Die großen Augen des Mädchens glimmten auf, wie das tanzende Licht zweier Leuchtkäfer zur Balz. »Heißt das ich darf mitkommen?«
Sophia legte ihren Arm um sie. »Ja, aber eines muss du mir versprechen: Egal was geschieht, bleib stets an meiner Seite. Wir passen aneinander auf. Versprochen?«
»Versprochen.« Maria gab Sophia einen Wangenkuss und mit einem warmen Lächeln schlief sie in den Armen ihrer Mutter ein.
Als sie die Augen aufschlug, war es schon zu spät. Kalte, feste Hände legten sich gewaltsam um Sophias Arme und Beine, rissen sie hinfort in die Nacht. Verzweifelt versuchte sie sich zu wehren und trat um sich, aber ihre Tritte endeten in wilder Zappelei. Grausig, schaurige Mimen lachten sie aus. An ihrer Seite ereilte Luna und Maria das gleiche Schicksal. Sie schimpften und schrien, dass in den Wäldern ringsum das Leben erwachte und davon floh. Byrger übermannten gleich drei. Allein Abaris wehrte die Schergen ab. Mit seinem Stab erteilte er ihnen gezielte Schläge, streckte zwei nieder, bis auch er von mehreren gepackt und entkräftet wurde.
»Dreckiger Bastard!«, fluchte einer der zu Boden gegangenen. Zwei eilten ihm zur Hilfe. »Finger weg!«,
Weitere Kostenlose Bücher