Mitternachtslust
erkennen. Sie streckte ihre Hand aus, um ihn festzuhalten, griff aber ins Leere, weil er bereits auf dem Weg zur Haustür war, um die Polizei hereinzulassen.
»Und Sie haben tatsächlich weder vom Eindringen des Unbekannten noch von dem Kampf zwischen dem Einbrecher und Ihrem Mann etwas bemerkt?« Der Kriminalbeamte, dessen zerknautschter Anzug dem des Fernsehkommissars Columbo nicht unähnlich war, sah Melissa fragend an, während er seinen billigen Plastikkugelschreiber abwartend über dem aufgeschlagenen Notizbuch schweben ließ, als wollte er ihr Geständnis sofort mitschreiben.
Müde schüttelte Melissa den Kopf. Sie wusste nicht, wie oft sie in dieser Nacht schon den Kopf geschüttelt hatte.
»Sie kann nichts gehört haben. Es gab keinen lauten Kampf und auch keinen Streit zwischen Herrn Sander und dem Eindringling. Jedenfalls habe ich nichts gehört. Es war im Haus so still, dass ich annahm, Herr und Frau Sander würden oben schon schlafen und hätten nach der Party vergessen, die Tür abzuschließen. Deshalb ging ich auch sehr leise ins Haus, um meinen Mantel zu holen. Ich hatte ihn liegen gelassen, brauchte ihn aber unbedingt, weil in der Manteltasche mein Hausschlüssel steckte.«
Wie immer, wenn jemand sich mit einer Frage an Melissa wandte, hielt Alexander sofort eine Erklärung bereit. Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu.
Jetzt meldete sich der Kripobeamte zu Wort, der bei seinem Eintreffen Richards Leiche flüchtig untersucht hatte: »Das Opfer wurde von hinten niedergeschlagen und war wohl sofort tot. So etwas kann verhältnismäßig lautlos vor sich gehen, wenn das Opfer überrascht wird. Vielleicht hatte der Hausherr den Eindringling noch gar nicht bemerkt.« Trotz seiner teuren dunkelbraunen Lederjacke wirkte der Beamte wie ein Schuljunge.
Der Mann im Columbo-Anzug nickte bedächtig. Offenbar gefiel ihm diese schlüssige Lösung.
»Ich muss Sie bitten, sich die Fotos in unserer Kartei anzusehen«, wandte er sich an Alexander. »Eventuell wird es nötig sein, mit Ihrer Hilfe ein Phantombild des Täters zu erstellen. Können Sie morgen früh um zehn Uhr aufs Revier kommen?« Er schob Alexander ein Kärtchen mit einer aufgedruckten Adresse hin.
»Ich befürchte, das wird nicht viel Sinn haben, da ich den Täter ja nur flüchtig von hinten gesehen habe.«
»Kommen Sie bitte trotzdem. Vielleicht hatte sein Hinterkopf etwas Charakteristisches, einen auffälligen Wirbel etwa oder einen besonderen Haarschnitt.«
Alexander nickte und steckte die Karte mit der Anschrift des Polizeireviers ein.
»Auch Sie muss ich leider bitten, in den nächsten Tagen auf dem Revier Ihre Aussage zu unterschreiben.« Der Kommissar bemühte sich um einen besonders sanften Tonfall, wenn er mit Melissa sprach. Dennoch zuckte sie bei seinen Worten zusammen.
»Sagen Sie, Herr Burg …« Der Polizeibeamte zögerte.
Alexander sah ihn abwartend an. Als einziges Zeichen seiner inneren Anspannung zuckte neben seinem linken Mundwinkel ein Muskel.
»Wahrscheinlich ist es in dieser Situation nicht ganz passend, aber da ich übermorgen meinen Urlaub antrete, könnte es sein, dass wir uns im Rahmen dieses Falles nicht mehr begegnen«, erklärte der Kommissar nach kurzem Zögern.
Alexander zauberte ein verbindliches Lächeln auf sein Gesicht. Der Muskel in seinem Mundwinkel hielt jetzt still.
»Sie werden es von einem Mann in meinem Berufsstand nicht unbedingt erwarten, aber ich bin ein großer Kunstfreund.« Der Beamte machte eine Pause, fuhr aber fort, als Alexander schwieg. »Natürlich ist es mir eine große Ehre, einen so bekannten Maler wie Sie zu treffen, wenn auch unter diesen unerfreulichen Umständen. Deshalb dachte ich … dass ich eventuell … natürlich nur, wenn es Ihnen keine allzu großen Umstände macht … es wäre ein Wunschtraum von mir, einmal das Atelier eines großen Malers besichtigen zu dürfen – später einmal.«
»Das ist kein Problem. Rufen Sie mich an, wenn Sie aus dem Urlaub zurück sind. Bis dahin ist diese furchtbare Angelegenheit sicher geklärt.« Alexander machte eine Kopfbewegung in Richtung Halle, wo die Spurensicherung arbeitete, während sich der Kommissar und sein Kollege in der Lederjacke mit den Zeugen ins Wohnzimmer zurückgezogen hatten.
»Sicher, sicher. Der Fall scheint eindeutig zu sein.« Offensichtlich hatte Columbo den Toten in der Halle geistig bereits zu den Akten gelegt und sich erfreulicheren Dingen zugewandt.
Mit offenem Mund sah Melissa zu, wie Alexander eine etwas
Weitere Kostenlose Bücher