Mitternachtslust
ab, um auf ihn zuzugehen, da rief er gegen die Musik an: »Lehn dich bitte ein bisschen weiter vor!«
Es dauerte einen Moment, bis Melissa begriff, dass er mit seinen Worten nicht sie gemeint hatte. Ihr Blick wanderte zur Fensterfront hinüber, wo sich auf der Ottomane eine üppige Blondine rekelte, die bis auf einen durchsichtigen weißen Schleier, den sie mehr ent- als verhüllend über die Hüfte drapiert hatte, nackt war.
»Ist es gut so?« Die Frau lehnte sich so weit nach vorn, dass ihre Brüste fast gegen ihre leicht angezogenen Schenkel stießen. Durch die langen Haare, die ihr ins Gesicht fielen, warf sie Alexander einen schmachtenden Blick zu.
Melissa verließ rückwärtsgehend das Zimmer. So schnell hatte er sich ein anderes Modell gesucht! Dabei war ihr Porträt nicht einmal fertig.
Wie hatte sie nur so dumm sein können, anzunehmen, dieser Mann würde es ernst mit ihr meinen! Er besaß nicht einmal die Ausdauer, ihr Porträt zu beenden, bevor er anfing, eine andere Frau zu malen. Nur weil es sich um einen guten Liebhaber handelte, war er noch lange kein Mann, in den eine Frau Gefühle investieren durfte. Zum Glück hatte sie das ja auch nicht getan. Sie hatte ihn genossen, wie man ein gutes Essen genießt, an das man nicht mehr denkt, wenn der Tisch abgeräumt ist.
Als Melissa leise die Tür hinter sich ins Schloss ziehen wollte, glitt ihr die Klinke aus der Hand. Mit lautem Krachen fiel die Tür zu.
Hastig sprang sie zur Seite und rettete sich mit wild pochendem Herzen hinter die hohen struppigen Büsche, die neben der Bank wuchsen, auf der sie vor einer kleinen Ewigkeit mit Alexander in der Abenddämmerung Wein getrunken hatte.
Als Sekunden später Alexanders hohe Gestalt im Türrahmen auftauchte, starrte sie ihn mit brennenden Augen durch die Zweige an. Im schwachen Licht, das aus dem Flur hinaus in die Nacht fiel, wirkte er unnatürlich groß.
»Hallo?«, rief er fragend in den dunklen Garten.
Mit angehaltenem Atem wartete Melissa, dass er wieder verschwand. Sie hockte äußerst unbequem auf einer unebenen Stelle. Die Muskeln in ihren Schenkeln zitterten vor Anstrengung. Wenn er noch lange dort herumstand und misstrauisch ins Dunkel schaute, würde sie vorwärts in die stacheligen Äste des Busches fallen.
»Melissa?«
Als er leise ihren Namen rief, fuhr sie zusammen. Von dort, wo er stand, konnte er sie unmöglich sehen. Woher wusste er, dass sie in seinem Haus gewesen war?
»Melissa?«
Wahrscheinlich wartete er darauf, dass sie kam und sich bei ihm entschuldigte. Was bildete er sich eigentlich ein? Fast hätte Melissa hinter ihrem Busch wütend geschnaubt. Im letzten Moment biss sie sich auf die Lippe und konzentrierte sich weiter darauf, das Gleichgewicht zu halten.
Nach einer kleinen Ewigkeit, die er damit verbrachte, wie eine Eule auf der Suche nach Beute in die Dunkelheit zu starren, ging Alexander ins Haus zurück.
Aufatmend rappelte Melissa sich hoch und machte sich auf den Heimweg. Diesmal hatte er sie jedenfalls nicht im Busch ertappt wie damals, als er in seinem protzigen Auto vorbeigefahren war. Sie stieß ein leises Lachen aus, das triumphierend klingen sollte, sich aber nur traurig anhörte.
18. Kapitel
»Ist ja gut, ist ja gut, Bonzo! Ja, ich bin wieder zu Hause.«
Mit einer müden Geste wehrte Melissa die stürmische Begrüßung des jungen Hundes ab. Sie tätschelte den dicken Kopf und lief dann, dicht gefolgt von Bonzo, in die Küche, wo sie dem Tier einen Hundekuchen gab und sich selbst ein Glas Rotwein einschenkte.
Wie immer, wenn sie sich in dem großen leeren Haus ein wenig verloren fühlte, zog es sie vor den Kamin. Der Sommerabend war zu warm, um ein Feuer anzuzünden, aber es genügte ihr, sich in den tiefen Ledersessel zu kuscheln und sich die Behaglichkeit der Flammen vorzustellen.
Bevor sie an ihrem Glas nippte, streifte sie die Schuhe ab, zupfte ein paar Hundehaare vom Rock ihres schwarzen Kostüms und zog die Beine an.
»Du siehst müde aus.«
Sie zuckte nur leicht zusammen, als sie die tiefe sanfte Stimme aus dem anderen Sessel hörte. Julius trug ein weißes Hemd, das kaum einen Kontrast zu seiner milchfarbenen Haut bildete. Dafür stellten seine dunklen Haare und seine fast schwarzen Augen einen umso schärferen Gegensatz dar.
»Ich bin müde und auch ein bisschen traurig. Aber das wird vergehen.« Melissa lächelte den Mann an, der aus der Vergangenheit zu ihr gekommen war.
»Und warum bist du traurig?« Er streckte seinen Arm aus, berührte
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