Mitternachtslust
Miene wie eine Maske zur Schau.
»Aber ich … Du wirst es nicht tun können. Zu mir hat er Vertrauen. Manchmal hält er mich für die Frau, nach der er all die Jahre gesucht hat. Wenn jemand ihm helfen kann, dann ich!«
Melissa hielt inne, weil sie sich des flehenden Tonfalls ihrer Stimme bewusst wurde. Wie kam sie eigentlich dazu, Alexander derart anzubetteln? Julius war mehr oder weniger einer seiner Vorfahren, auch wenn es nicht mehr zur Hochzeit mit Annabelle gekommen war. Sollte er sich doch um den Geist in seinem Haus kümmern!
»Weißt du was?« Sie stemmte ihre Hände in die Hüften. Es fehlte nicht viel, und sie hätte mit dem Fuß aufgestampft wie ein trotziges kleines Mädchen. »Steck dir dein blödes Haus mitsamt deinem Hausgeist an den Hut oder sonst wohin! Ich werde noch heute anfangen, meine Sachen zu packen. In spätestens einer Woche bin ich weg.«
»So eilig ist es wirklich nicht. Du musst dich doch erst nach einer neuen Bleibe umsehen.«
Jetzt hatte er natürlich ein schlechtes Gewissen, aber das geschah ihm nur recht!
»Das ist kein Problem. In einer Woche bin ich weg«, wiederholte sie, obwohl sie keine Ahnung hatte, wo sie hingehen sollte. Wenigstens musste sie sich um Geld keine Sorgen machen. Irgendwie würde sie schon eine Wohnung finden, in deren Nähe sie ihr Fotostudio eröffnen konnte.
»Ich möchte dich wirklich nicht auf die Straße setzen.« Dieser Rückzieher kam zu spät!
»Mach dir keine Sorgen um mich!«, befahl sie ihm, obwohl er sicher der Letzte war, der sich um eine der Frauen sorgte, die er erfolgreich aus seinem Leben verbannt hatte.
»Wie du willst. Dann bleibt mir nur, dir eine wunderbare Zukunft zu wünschen.« Seine Züge waren eingefroren.
Melissa nickte und machte den ersten Schritt in Richtung Tür, damit er nicht auf die Idee kam, ihr zum Abschied die Hand zu geben. Sie wollte nicht von ihm berührt werden.
»Ich wünsche dir auch alles Gute«, stieß sie mit steifen Lippen hervor.
»Danke«, erwiderte er.
»Die Schlüssel stecke ich in deinen Briefkasten«, fiel ihr noch ein. »Natürlich teile ich dir auch mit, wie du mich erreichen kannst, falls noch irgendwelche Rechnungen zu begleichen sind.«
Mit einer ungeduldigen Geste winkte er ab. »Das ist wirklich kein Problem.«
Mittlerweile hatte Melissa bei ihrem strategischen Rückzug fast die Tür erreicht. Sie wollte gerade die Hand nach der Klinke ausstrecken, als von außen diskret geklopft wurde.
»Ja?« Alexanders Stimme klang ruhig und kühl.
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit, und der dunkel gelockte Erzengel streckte den Kopf ins Zimmer.
»Ich fürchte, ich kann die Kunden nicht länger hinhalten. Der Verkauf läuft irrsinnig gut, aber einige Käufer wollen unbedingt noch ein paar Worte vom Künstler persönlich hören, bevor sie sich durchringen, einen Scheck auf den Tisch des Hauses zu legen.«
»Ich komme sofort.« Alexander unterdrückte einen Seufzer, den Melissa ihm nicht ganz abnahm. Wahrscheinlich fand er es toll, von gelifteten Damen der besseren Gesellschaft umschwärmt zu werden wie ein Popstar.
»Wer ist das eigentlich?«, fragte Melissa, nachdem der Erzengel geräuschlos wieder verschwunden war.
»Robert Neizel, mein Galerist.« Alexanders Stirn war immer noch gerunzelt.
»Ein unglaublich attraktiver Mann«, stellte Melissa fest. »Ist er verheiratet?«
»In gewissem Sinne ja.« Um Alexanders Lippen zuckte das überlegene Grinsen, das sie auf den Tod nicht ausstehen konnte.
»Was soll das heißen? Lebt er mit jemandem zusammen?«
»Er hat keine Frau, falls es das ist, was du wissen möchtest.« Alexanders Lippen teilten sich, und er zeigte seine ebenmäßigen Zähne.
»Das höre ich wirklich gern. Ich denke, ich werde mich nachher ein bisschen mit ihm unterhalten.« Das kindische Bedürfnis, Alexander wehzutun, trieb sie an.
»Das solltest du tun«, stimmte Alexander ihr gleichmütig zu. »Robert ist ein sehr interessanter Gesprächspartner. Falls du allerdings weitergehende Absichten hast …«
»Ehrlich gesagt, geht dich das nichts an«, teilte Melissa ihm hocherhobenen Hauptes mit. »Allerdings weißt du ja ohnehin schon, dass ich gut aussehende Männer nicht von der Bettkante stoße, was natürlich nichts mit großen Gefühlen zu tun hat.«
»Robert«, sagte Alexander langsam und ruhig, »dürfte wohl kaum auf deiner Bettkante auftauchen. Er ist schwul und lebt seit fünf Jahren glücklich mit einem Mann zusammen.«
»Oh.« Melissa spürte tiefe
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