Mitternachtslust
sie auf die gemauerte Feuerstelle zu. Sie starrte die rußigen Steine an und meinte bereits, das Knistern des Feuers zu hören und seine Wärme zu fühlen.
Als sich leicht, fast schwerelos, ein Arm um ihre Schultern legte, fuhr sie empört herum – und stellte fest, dass Alexander Burg fünf Meter von ihr entfernt neben der Treppe stand. Die Hände in den Hosentaschen, wippte er auf den Fußspitzen auf und ab und sah zu ihr herüber.
Verwirrt strich Melissa sich über das viel zu weite Hemd. Wahrscheinlich hatte ein Luftzug den Stoff gegen ihre Schultern gedrückt. Eilig marschierte sie auf die nächstbeste Tür zu und riss sie auf.
»Die ehemalige Bibliothek!«, rief Alexander ihr zu.
Und beim nächsten Zimmer: »Der sogenannte Salon«, dies natürlich mit unüberhörbarem Spott in der Stimme, weil ein Mann wie er sein Wohnzimmer natürlich niemals als Salon bezeichnen würde.
Er unternahm keinen Versuch, ihr bei ihrem raschen Besichtigungsgang zu folgen, sondern rief ihr quer durch die Halle die nötigen Informationen zu.
Außer dem »Salon« gab es die moderne Küche, direkt daneben das Esszimmer und ein »sogenanntes« Frühstückzimmer, welches wohl wegen seiner nach Osten gelegenen Fenster zu diesem Namen gekommen war.
All diese Räume waren großzügig geschnitten und entsprachen offenbar ebenso wie die Halle Melissas unbewusster Vorstellung von einem Gebäude, in dem sie sich zu Hause fühlen konnte, denn jedes einzelne Zimmer erschien ihr auf Anhieb vertraut. Sie wusste sofort, wo sie welche Möbel hinstellen würde und welche Veränderungen sie vornehmen wollte.
Ohne sich um Alexander Burg zu kümmern, stürmte sie die breite geschwungene Treppe zum ersten Stock hinauf.
Seit geraumer Zeit schliefen Richard und sie in getrennten Schlafzimmern. Übereinstimmend hatten sie festgestellt, dass es nicht nötig war, sich gegenseitig zu stören, wenn einer von ihnen früher zu Bett ging, Melissa nachts manchmal stundenlang las oder Richard schon sehr früh aufstand, weil er im Morgengrauen zum Flughafen musste.
Bereits als sie auf der obersten Stufe stand, wusste Melissa, dass sie ihr Schlafzimmer in dem Raum ganz hinten rechts einrichten würde. Dorthin zog es sie mit aller Macht, vielleicht weil dieser über dem Frühstückszimmer liegende Raum Morgensonne hatte. Sie kannte nichts Schöneres, als von der Sonne geweckt zu werden.
Das Zimmer war genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Durch die großen Fenster würde sie beobachten können, wie morgens die Sonne über den Baumwipfeln ganz am Ende des Parks auftauchte.
Es gab einen Kamin, der ein kleineres Gegenstück zu der großen Feuerstelle unten in der Halle bildete. Davor wollte sie zwei Sessel und ein passendes Tischchen stellen. Ihr Messingbett würde wunderbar in dieses Zimmer passen. Es sollte mitten im Raum stehen, und zwar so, dass sie durch das Fenster in den Nachthimmel sehen konnte.
Melissa war so in Gedanken versunken, dass sie leicht verzögert auf die Berührung an ihrem Oberarm reagierte. Diesmal konnte der Druck auf ihrer Haut kaum von Zugluft herrühren, er war zu warm und zu fest. Ruckartig trat sie einen Schritt zur Seite und schüttelte dabei Alexanders Hand ab.
»Sie sind ja ganz weggetreten«, stellte er erstaunt fest.
»Das Haus ist …« Vergeblich suchte sie nach dem passenden Adjektiv. »Ich denke, man könnte durchaus etwas aus diesem Haus machen«, sagte sie deshalb lahm und wanderte weiter in das nächste der insgesamt fünf Zimmer und ebenso vielen Bäder im oberen Stockwerk.
Alexander blieb ihr auf den Fersen. »Wenn Sie wirklich interessiert sind, sollten Sie mit dem Makler hart über die Miete verhandeln. Lassen Sie sich nicht auf eine zu hohe Summe ein! Der Eigentümer ist sicher froh, wenn er den Kasten wieder vermieten kann. Erst recht, falls Sie es, anders als Ihre Vorgänger, länger als ein paar Monate hier aushalten.«
Melissa, die gerade das erstaunlich moderne Bad neben ihrem künftigen Schlafzimmer betrachtete, wandte sich erstaunt zu ihm um. »Weshalb sind die Leute denn hier immer wieder so rasch ausgezogen? Das Haus ist einfach traumhaft! Ich habe noch nie in meinem Leben ein rundes Bad gesehen.«
Offensichtlich befanden sie sich im Inneren eines der kleinen Türmchen, die direkt ans Haus gebaut waren. Da die geschwungenen Wände keine Stellfläche boten, waren alle notwendigen Installationen wie zufällig im Raum verteilt und durch halbhohe Stellwände aus Milchglas voneinander abgetrennt.
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