Mitternachtslust
zusammengepressten Lippen wandte sie sich ab und stapfte den Kiesweg entlang auf das schmiedeeiserne Tor zu. Erst als sie die Straße schon fast erreicht hatte, drehte sie sich noch einmal um. Alexander Burg war verschwunden. Allerdings meinte sie, hinter einem der Fenster im oberen Stockwerk einen Schatten zu erkennen, der mit einer fließenden Bewegung verschwand, als sie genauer hinsah.
4. Kapitel
»Du hättest diese Sache mit mir absprechen müssen! Einfach selbstherrlich eine Entscheidung zu treffen und den Mietvertrag zu unterzeichnen, war absolut nicht korrekt.«
Der tödliche Blick, mit dem Richard gewöhnlich Bemerkungen wie diese zu unterstreichen pflegte, blieb Melissa ausnahmsweise erspart, weil er beim Reden in dem Aktenstapel wühlte, der, exakt Kante auf Kante ausgerichtet, rechts oben auf seinem Schreibtisch lag.
Richard war in Eile, denn an diesem Morgen sollte eine wichtige Besprechung mit dem Aufsichtsrat stattfinden. Genau aus diesem Grund hatte Melissa sich konkrete Aussagen über das Ergebnis ihrer Reise nach Hamburg für das heutige Frühstück aufgespart.
»Hast du eine Klarsichthülle mit Computerausdrucken gesehen?« Nervös strich Richard sich das glatte Haar aus dem Gesicht, und zum ersten Mal bemerkte Melissa die Geheimratsecken, die zwei gleichmäßige Halbkreise auf seiner Stirn bildeten.
»Du warst vorhin noch einmal im Bad. Vielleicht hast du sie mitgenommen.«
Ein verächtlicher Blick aus seinen hellgrauen Augen mit den gelblichen Einsprengseln traf sie. »Du glaubst nicht im Ernst, dass ich die Unterlagen für den Aufsichtsrat auf der Toilette studiere!«
Melissa verkniff sich die Bemerkung, dass er ständig irgendwelche Fachzeitschriften und Geschäftsunterlagen mitnahm, wenn er sich zu einer seiner ganz privaten Sitzungen auf die Toilette zurückzog.
»Das mindeste wäre gewesen, mich anzurufen, bevor du den Vertrag unterschreibst«, kam Richard auf Melissas Eigenmächtigkeit zurück.
»Ich musste mich schnell entscheiden. Es gab noch einen anderen Interessenten.« Es fiel ihr nicht einmal schwer, ihm direkt in die Augen zu sehen, während sie ihn belog.
»So eilig kann es unmöglich gewesen sein.« Er blätterte unter lautem Geraschel in einem Haufen loser Zettel.
»Doch, das war es«, erwiderte sie ungerührt.
»Du hast mein Vertrauen missbraucht«, teilte ihr Ehemann ihr streng mit, während er sich dem Regal zuwandte, in dem er seine zahlreichen Aktenordner aufbewahrte. »Schließlich sind wir sozusagen ein Team. Und ein Team funktioniert nur, wenn man sich miteinander abspricht.«
Melissa fing einen eng bedruckten Bogen Papier auf, der wie eine flügellahme Taube dem Boden entgegenflatterte. »Manchmal muss man sich eben schnell entscheiden«, beharrte sie. »Es gibt garantiert kein zweites freies Wohnobjekt wie dieses in ganz Hamburg, das noch dazu zu so einem günstigen Preis zu mieten ist. Das Haus ist …«
Sie stockte und suchte nach einem passenden Begriff. Anziehend? Gemütlich? Ein wenig geheimnisvoll? Mit keiner dieser Beschreibungen würde sie Richards Begeisterung wecken können.
»… großzügig und repräsentativ«, erklärte sie deshalb entschlossen.
Für einen Moment hob Richard den Kopf von dem Aktenordner, den er soeben mit fliegenden Händen durchblätterte. Doch dann schob er nur ein weiteres Mal sein Haar aus der Stirn. Melissa war klar: So leicht würde er ihr eine solche Geschichte nicht durchgehen lassen, obwohl sie tatsächlich für äußerst günstige Miete einen Luxusvilla an Land gezogen hatte.
»Du hättest mir zumindest per MMS ein Bild von dem Objekt schicken müssen.« Es ging ihm ums Prinzip. Wäre sein neues Zuhause ihm wirklich wichtig gewesen, hätte er sie nicht allein nach Hamburg geschickt, um eine Vorauswahl zu treffen.
»Wie hätte ich mit dem Handy so ein großes Haus und sämtliche Zimmer fotografieren sollen?«
»Du hast es garantiert nicht einmal versucht. – Verdammt nochmal, wo sind diese Unterlagen? Ich muss spätestens in zehn Minuten los!« Inzwischen hatte er sämtliche Schreibtischschubladen ausgeräumt.
Melissa lehnte im Morgenmantel im Türrahmen. Wahrscheinlich erwartete Richard von ihr, dass sie ihm beim Suchen half, aber ausnahmsweise rührte sie keinen Finger.
»Da sind sie ja!« Mit einem triumphierenden Grunzen zog er eine Klarsichthülle zwischen zwei Fachzeitschriften hervor. »Da habe ich sie bestimmt nicht hingelegt.« Sein strafender Blick ließ Melissa nicht einmal zusammenzucken.
»Du
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