Mitternachtslust
Fingerspitzen, die über ihre Wangen glitten. Tastend, vorsichtig und unglaublich sanft folgten die Fingerkuppen den Linien ihres Gesichts, strichen über ihr Jochbein und ihr Kinn, malten den Schwung ihrer leicht geöffneten Lippen nach und legten sich schließlich für Sekunden unendlich wohltuend auf ihre bleischweren geschlossenen Lider.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde huschte ihr die Frage durch den Kopf, wer sie so zärtlich anfasste. Dann ließ sie sich wieder in die tranceartige Müdigkeit fallen, die wie ein betäubendes Gas durch ihren Körper strömte. Instinktiv wusste sie, dass jemand, der sie so liebevoll streichelte, ihr nichts Böses antun würde.
Unter den sanften Berührungen der kühlen Finger, die wie schwerelos über ihre Wangen und ihre Stirn glitten, wünschte sie sich, sie könnte immer so daliegen und einfach nur fühlen.
Ein zarter Hauch, wie von duftendem Atem, wehte über ihre Lider, die plötzlich leicht wie Schmetterlingsflügel wurden und sich von allein öffneten.
Das Gesicht, das dicht über ihrem in der Dunkelheit des Zimmers schwebte, schien von innen heraus zu leuchten, so dass sie alle Einzelheiten seiner Züge erkennen konnte.
Deutlich sah sie die schmale gerade Nase, die funkelnden dunklen Augen, die aufgeworfenen Lippen und die tiefe Kerbe in dem energischen Kinn. Voller Staunen stellte sie fest, dass ihr dieses Gesicht gleichzeitig fremd und vertraut war.
Um seine Lippen spielte ein Lächeln, als er sich über sie beugte, um seinen Mund auf ihren zu legen.
Trotz der unglaublichen Zärtlichkeit, die von all seinen Berührungen ausging, waren seine Hände, seine Lippen und seine Schläfe, die sich für Sekunden an ihre schmiegte, kühl wie Blütenblätter im Mondschein.
Melissa hätte gern ihre Hand gehoben, um mit den Fingerspitzen sein Lächeln nachzuzeichnen und durch sein lockiges dunkles Haar zu fahren, das ihm tief in die Stirn fiel, aber ihre Glieder waren immer noch schwer wie Blei.
»Woher kommst du?«, hörte sie sich flüstern.
Sie sprach die Worte dicht bei seinem Ohr aus. Sein Kopf lag neben ihrem auf dem Kissen. Er hatte seinen langen schmalen Körper neben ihr ausgestreckt, doch die Matratze war unter seinem Gewicht nicht eingesunken.
Als er sich auf den Ellenbogen stützte, um sie anzusehen, spürte sie seinen Atem auf ihren Lippen. Ihr Körper brannte lichterloh, und sie wusste nicht, ob es Verlangen oder ein plötzliches Fieber war, das sie verzehrte.
In dem Moment, in dem er sie sanft an sich zog, wich die Hitze einem sanften Kribbeln, das sie von den Fußsohlen bis zur Kopfhaut überzog, als würden Tausende von Ameisen in Samtpantöffelchen auf ihrer Haut spazieren gehen.
Nur einen winzigen Augenblick wunderte Melissa sich, warum er plötzlich nackt war, obwohl sie eben noch den weißen Kragen seines Hemdes hatte schimmern sehen. Auch ihr dünnes Batistnachthemd war verschwunden.
Dann genoss sie nur noch die kühle Glätte seiner Haut. Obwohl er auf ihr lag, spürte sie sein Gewicht nicht. Es gab nichts außer seiner Zärtlichkeit, seinen Händen und seinem Atem auf ihrem Körper, als er mit dem Mund ihre Brüste berührte und weiter zu ihrem Bauchnabel wanderte, bevor er sachte, wie ein Hauch von Frühlingswind, seine feuchten Lippen über die Innenseiten ihrer Schenkel gleiten ließ.
Sanft und unendlich geduldig nahm er sie in Besitz. Seine feste Brust schmiegte sich an das weiche Fleisch ihres Busens, während seine Schenkel sich um ihre schlangen, seine Hände ihre Schultern streichelten, sein Mund an ihrer Schläfe lag. Mit jeder Berührung erwachte ein winziges Stück von Melissas Körper zum Leben. Plötzlich konnte sie auch ihre Hände, ihre Arme und Beine wieder bewegen.
Wie von selbst wanderten ihre Fingerspitzen über die Schultern des Mannes, der sie zärtlich und doch voller Kraft umarmte. Sie ertasteten die Muskeln unter der glatten Haut, folgten dem Rückgrat den langen schmalen Rücken hinunter, streichelten die Hüften, die sich an ihren rieben, während er sie mit einer Intensität küsste, wie sie sie selten zuvor erlebt hatte.
Mit jedem Augenblick schien ihr Körper ein wenig leichter zu werden, als würde die Schwerkraft nicht mehr für sie gelten, als würde sie nicht mehr auf der Matratze liegen, sondern Zentimeter darüber in der Luft schweben.
Als er seine Umarmung lockerte, stieß sie einen leisen erschrockenen Schrei aus, weil sie fürchtete, er könnte ebenso unvermittelt verschwinden, wie er aufgetaucht
Weitere Kostenlose Bücher