Mitternachtsmorde
auf sie wirkte wie Wasser auf eine Wüstenpflanze; sie sog sie auf, sie schwelgte darin, sie erblühte, wenn sie mit ihm zusammen war, und musste, wenn sie es nicht war, ständig an ihn denken.
Sie verzog das Gesicht. »Rebecca würde ihm wahrscheinlich den Kopf waschen, weil er so lange gewartet hat. Sie haben so gut zueinander gepasst; wie zwei Hälften eines Ganzen. Sie fügten sich nahtlos ineinander. Sie hätte bestimmt gewollt, dass er glücklich ist. Deshalb fühle ich mich auch so egoistisch, aber …«
»Aber?«, hakte er nach, als sie mitten im Satz verstummte.
»Plötzlich habe ich das Gefühl, dass ich ihn auch noch verloren habe. Er hat damals alles versucht, um sie wiederzubeleben. Die Sanitäter haben mir erzählt, als sie dort ankamen, wäre er von der Herzmassage so k.o. gewesen, dass er sich nur noch auf den Rücken rollen konnte; er konnte nicht einmal mehr aufstehen. Und er hat um sie geweint. Bis heute war es so, als hätten wir beide diese – diese Leere geteilt, die sie hinterlassen hat. Als hätte ich nicht alles ganz allein ertragen müssen.«
Er schwieg erst und fragte dann einfühlsam: »Und dein Mann hat nicht …«
Sie lachte bitter. »Oh, natürlich hat er geweint, aber noch am Abend ihrer Beerdigung ist er ausgegangen, um sich flachlegen zu lassen. Falls er wirklich um sie getrauert hat, hat er das dadurch gezeigt, dass er genau das Gleiche getan hat wie immer, nämlich jeder Frau nachzusteigen, die ihn auch nur ansah.«
Byrons Hand strich liebevoll über ihren Bauch. »Ich würde ja sagen, dass mir das leid tut, aber wenn er ein perfekter Ehemann wäre, wärst du nicht mit mir zusammen. Es tut mir leid, dass ich dich nicht vor ihm kennen gelernt habe, aber fändest du es gemein von mir, wenn ich im Innersten meines Herzens froh wäre, dass du so unglücklich mit ihm warst?«
Sie lächelte ihn zärtlich an. »Nein, das ist nicht gemein. Sondern ehrlich. Und schmeichelhaft.« Ruth kuschelte sich an ihn und drehte sich zur Seite, damit sie einen Arm über seine Schulter legen und ihm über die Haare streichen konnte. Sie berührte ihn so gern. Bis Byron aufgetaucht war, hatte sie eine Ewigkeit lang niemanden berührt und war von niemandem berührt worden und hatte so lange keine Liebe und keinen Sex und keine Kombination aus beidem erfahren, dass sie sich, als sie das erste Mal in seinen Armen lag, beinahe mädchenhaft gefühlt hatte. Alles war damals so neu und beängstigend gewesen; sie war so nervös gewesen, dass sie nicht so bereit war, wie sie es sich gewünscht hätte, weshalb es beim ersten Mal ein wenig geschmerzt hatte, fast als wäre es tatsächlich das allererste Mal für sie.
Um die Wahrheit zu sagen, hatte sie sich nie als besonders erotische Frau empfunden; sie war immer eher auf Sicherheit denn auf Liebe bedacht gewesen und hatte sich all ihren Gefühlen verschlossen. Dass sie sich damals so entschieden hatte, hatte ihr Rebecca geschenkt, aber nach dem Tod ihrer Tochter war ihr nichts als Verbitterung und Leere geblieben. Bis sie Byron begegnet war, waren die Tage in monotoner Freudlosigkeit und ohne Hoffnung verstrichen. Byron hatte ihr die Zuneigung geschenkt, nach der sie sich so verzehrte, und er hatte ihr darüber hinaus wieder einen Grund gegeben, weiterzuleben und die Schmerzen und Verluste der Vergangenheit hinter sich zu lassen.
Es gab so vieles, was ihr an ihm gefiel. Zum einen kam er nicht aus ihrer Gegend. Das erste Mal waren sie sich nicht in Pekesville begegnet, sondern im benachbarten County im Westen, weshalb sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, dass sie irgendwelchen Bekannten über den Weg laufen könnten. Manche Leute würden das benachbarte County vielleicht noch als gleiche Gegend bezeichnen, aber sie hatte ihr gesamtes Leben in Pekesville verbracht und war nie viel gereist, weshalb für sie gleich hinter dem Countyschild die weite Welt begann.
Er war nicht wirklich groß, nur etwa zehn Zentimeter größer als sie, und Ruth hatte festgestellt, dass ihr auch das gefiel. Sie passten hervorragend zusammen, und obendrein war Edward riesig, sodass zu ihrer Erleichterung nichts an Byron an ihren Ehemann erinnerte – außer dass beide einen Penis hatten, natürlich, den sie aber auf höchst unterschiedliche Weise einsetzten. Edward war sexuell immer ein Egoist gewesen; Byron war im Gegensatz dazu nett und geduldig im Bett und immer bereit, ihr Befriedigung zu verschaffen, ganz gleich, wie lange er dazu brauchte und was er dafür tun musste.
Weitere Kostenlose Bücher