Mitternachtsmorde
gestrichen.«
»Ich verstehe«, bekundete sie würdevoll. »Diese Metapher hätte ich eigentlich erkennen müssen, weil Stift und Papier lange vor der Lücke während des zwanzigsten Jahrhunderts in unseren Aufzeichnungen erfunden wurden.«
»Mal ganz ehrlich, ich bin überrascht, dass du so gutes Alltagsenglisch sprichst. Sag mal was in deiner normalen Sprache.«
»Ich bin doch kein Affe, den du nach Lust und Laune Faxen machen lassen kannst«, sagte sie in ihrer normalen Sprechgeschwindigkeit, wobei sie alle Worte zu einem einzigen zusammenzog.
Er blinzelte. »Wow. Das war schnell. Du hörst dich an wie ein Auktionator. Reden bei euch alle so schnell?«
»Nein, natürlich nicht. Manche sprechen schneller, manche langsamer. Für mich klingt dein Sprachrhythmus sehr langsam und getragen.«
»Na ja, immerhin sind wir hier im Osten Kentuckys; das erklärt die Langsamkeit. Ob wir ›getragen‹ reden, kann ich nicht sagen.«
Nikita hatte, wie sooft, das Gefühl, dass ihre Unterhaltung vom Kurs abgekommen war, und tippte mit dem Fingernagel auf den Block. »Ich finde, wir sollten uns auf unseren Plan konzentrieren. Du möchtest nicht, dass ich mit dir ins Gerichtsgebäude komme. Ich stimme nicht unbedingt mit deiner Argumentation überein, aber da du ein Mann bist, nehme ich dich beim Wort. Vielleicht sollte ich die Namen der Ratsmitglieder heraussuchen, aber dazu müsstest du mich zum Rathaus fahren.«
»Anscheinend hast du mich vollkommen aus dem Konzept gebracht, denn jetzt, wo ich wieder klar denken kann, weiß ich auch, wo wir sind. In einer Bücherei.«
»Ja, genau«, bestätigte sie. Wann hatte er denn vergessen, wo sie waren?
»Wir brauchen doch nur in die Zeitungen nach dem jeweiligen Wahltag zu schauen. Okay, lass mich überlegen; die Wahlen finden grundsätzlich in geraden Jahren statt, und ich weiß noch, dass 2002 Stadtratswahlen waren. Wenn wir von dort aus rückwärts zählen, heißt das, dass die Wahlen zum Stadtrat 1982 waren, und da die Wahlen zum Stadtrat und zur County-Verwaltung abwechselnd stattfinden, muss die Wahl zur County-Verwaltung 1984 gewesen sein. Die Wahlen zum Stadtrat finden im Juni statt, sodass wir für die Stadträte die Zeitungen vom Juni 1982 durchsehen müssen, und für die County Commissioners die vom November 1984. Die genauen Daten kann ich dir leider nicht nennen.«
»Tja, mit so wenigen Informationen werde ich wohl kaum etwas ausrichten können«, erwiderte sie spröde, und er lachte glucksend. Ehe er etwas erwidern konnte, piepste sein Funkgerät, und eine Stimme gab eine Reihe von Codenummern durch. Erst als er das Gerät vom Gürtel hakte und sich meldete, erkannte Nikita, dass es sich um eine Kombination aus Funkgerät und Handy handelte. Sie betrachtete das Ding mit neu erwachtem Interesse und fragte sich insgeheim, ob er wohl zulassen würde, dass sie es untersuchte. Offenbar handelte es sich bei diesem Gerät um einen Dual-Kommunikator der ersten Generation.
»Ich muss los«, sagte er im Aufstehen. Stirnrunzelnd sah er auf sie herab. »Kommst du ohne mich zurecht?«
Sie verdrehte die Augen. »Nein, weil ich in Wahrheit nicht dreißig, sondern fünf Jahre alt bin; ich weiß wirklich nicht, wie ich das ohne dich schaffen soll.«
»Du musst nicht gleich sarkastisch werden.«
»Offenbar schon.«
»Ich habe bloß das Gefühl, dass du hier wie im Ausland bist oder so.«
»Das bin ich nicht, ich bin in meinem eigenen Land. Ich habe Geld, ich habe deine Telefonnummer, und ich bin sicher, dass ich es schaffe, notfalls irgendwo anzurufen.«
»Schon gut, schon gut.« Er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie auf ihren Scheitel. »Ist das Handy, das du da hast, echt, oder sieht es nur so aus wie eines von unseren?«
Sie hatte das Gefühl, dass sie seinen Kuss nicht unkommentiert lassen sollte, aber gleichzeitig war die Geste so beiläufig gewesen, dass sie ihr nicht unnötig Bedeutung verleihen wollte. »Leider ist es eine Attrappe. Es sieht aus wie eines von euren, aber wir nutzen die Technologie nicht mehr, und es existieren keine Geräte mehr aus eurer Zeit.«
»Na schön, dann werde ich dir ein echtes besorgen. Ich will dich jederzeit erreichen können. Du bleibst hier, bis ich zurückkomme.«
»Machst du Witze? Ich bin hier in einer Bücherei, für mich ist das der Himmel. Stell dir nur vor, was ich hier alles recherchieren kann!«
Eigentlich hatte er sich schon zum Gehen gewandt, aber plötzlich blieb er stehen, und sein Gesicht leuchtete neugierig
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