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Mitternachtspalast

Mitternachtspalast

Titel: Mitternachtspalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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noch etwas anderes …«, gab Michael zu bedenken.
    Ben lächelte.
    »Wie gesagt, wir riskieren es.«
     
    Kurz vor Mitternacht standen Sheere, Ian und Ben vor dem Zaun, der das Haus von Ingenieur Chandra Chatterghee umgab. Die verspielte Silhouette des schlanken Turms am Syam Basar zeichnete sich vor der Mondscheibe ab und warf ihren Schatten wie eine spitze, schwarze Nadel auf den undurchdringlichen Garten aus Palmen und dichtem Gestrüpp, hinter dem sich das geheimnisvolle Anwesen verbarg.
    Ben zog sich an den eisernen Lanzen des Zauns hoch und untersuchte die bedrohlichen Spitzen.
    »Wir müssen springen«, urteilte er. »Und das wird nicht einfach.«
    »Ist nicht nötig«, sagte Sheere neben ihm. »Unser Vater hat jeden Millimeter dieses Hauses in seinem Buch beschrieben, bevor er es baute. Ich kenne seit Jahren jeden einzelnen Winkel. Wenn das stimmt, was er geschrieben hat – und daran habe ich keinen Zweifel –, dann gibt es hinter den Büschen einen kleinen Teich, und dahinter steht das Haus.«
    »Und was ist mit diesen Spitzen?«, fragte Ben. »Hat er die auch erwähnt? Ich will mich nicht mitten in der Nacht aufspießen.«
    »Es gibt noch einen anderen Weg, ins Haus zu gelangen, ohne über den Zaun steigen zu müssen«, sagte Sheere.
    »Worauf warten wir dann noch?«, fragten Ian und Ben gleichzeitig.
    Sheere führte sie durch eine schmale Gasse, kaum mehr als ein Durchlass zwischen dem Zaun und den Mauern eines arabisch anmutenden Nachbarhauses, zu einer kreisrunden Öffnung, offenbar ein Abwasserkanal oder ein Schacht für die Leitungen des Hauses. Ein dumpfer, modriger Geruch stieg daraus hervor.
    »Da durch?«, fragte Ben ungläubig.
    »Was hast du erwartet?«, entgegnete Sheere. »Perserteppiche?«
    Ben spähte ins Innere des Kanals und schnupperte noch einmal.
    »Göttlich«, sagte er schließlich, zu Sheere gewandt. »Du zuerst.«

Der Feuervogel

    Der Tunnel endete unter einer kleinen Holzbrücke an dem Teich, der wie eine dunkle Samtdecke vor dem Haus von Ingenieur Chandra Chatterghee lag. Sheere führte die beiden Jungs an dem schmalen, lehmigen Ufer entlang und blieb dann stehen, um das Haus zu betrachten, von dem sie ihr Leben lang geträumt hatte. In dieser Nacht sah sie es zum ersten Mal mit eigenen Augen, unter einem Sternenhimmel und dahinziehenden Wolken, die eine endlose Flucht bildeten. Ian und Ben traten schweigend zu ihr.
    Es war ein zweistöckiges Haus, auf jeder Seite von einem Türmchen flankiert, in dem unterschiedliche architektonische Stile zusammenflossen, von den edwardianischen Gesimsen bis hin zu der eigenwilligen, verspielten Silhouette, die einem Märchenschloss in den bayrischen Alpen entliehen schien. Dennoch ging von dem Anwesen eine ruhige Eleganz aus, die dem kritischen Blick des Betrachters standhielt. Dem Haus schien ein verführerischer Zauber innezuwohnen, der nach der ersten Verwirrung vermuten ließ, dass dieses unglaubliche Durcheinander von Stilen genau deshalb geschaffen worden war, um in Harmonie nebeneinander zu existieren. Von einem Dickicht wildwuchernder Vegetation umgeben, die es mitten im Herzen der
Schwarzen Stadt
den Blicken entzog, wirkte das Anwesen des Ingenieurs wie ein echtes Schloss. Stolz schwebte es über dem kleinen Teich wie ein großer, schwarzer Schwan, der sein Spiegelbild in einem obsidianfarbenen Gewässer betrachtete.
    »Ist es so, wie es dein Vater beschrieben hat?«, fragte Ian.
    Sheere nickte hingerissen, dann ging sie zu der Freitreppe, die zum Eingang hinaufführte. Ben und Ian sahen ihr skeptisch hinterher, während sie sich fragten, wie sie in diese Festung hineinkommen wollte. Sheere hingegen schien sich in dieser geheimnisvollen Umgebung bestens zurechtzufinden, so als hätte sie schon immer hier gelebt. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie Hindernissen auswich, die sich im Dunkel der Nacht verbargen, gab den beiden Jungen das sonderbare Gefühl, Eindringlinge zu sein, zufällige Zeugen der Begegnung zwischen Sheere und ihrem Traum, den sie während ihrer Nomadenjahre gehegt hatte. Als sie sahen, wie sie die Stufen hinaufging, begriffen Ben und Ian, dass dieser einsame, in gespenstisches Licht getauchte Ort das einzig wahre Zuhause war, das Sheere jemals gehabt hatte.
    »Wollt ihr die ganze Nacht da unten stehen bleiben?«, rief Sheere oben auf der Treppe.
    »Wir haben uns gerade gefragt, wie wir reinkommen sollen«, erklärte Ben, und Ian nickte, um die Bedenken seines Freundes zu unterstreichen.
    »Ich habe den

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