Mitternachtspicknick
langsam. Oder willst du laufen?«
»Laufen«, sagte Kathrin sofort. »Hier oben schwankt es so sehr!«
Tom musste ihr vom Pferd helfen. Unter normalen Umständen hätte Kathrin diese Situation ganz pikant gefunden - der gut aussehende Tom, der den Arm um ihre Mitte legte und sie stützte, weil es ihr so schlecht ging. Aber tatsächlich fühlte sie sich so elend, dass sie ihre Lage nicht im Geringsten genießen konnte. Die Bewegung, mit der sie sich gegen Tom lehnte und ihr schweißfeuchtes Gesicht an seine Brust presste, war ohne Berechnung. »O Gott, ist mir schlecht!«
»Kannst du allein laufen?«, fragte Tom sachlich. »Dann könnte ich mein Pferd führen. Halt dich am Zügel von deinem fest.«
Sie nickte schwach. Tom hatte wirklich Pech. Nun musste er den ganzen Weg zu Fuß gehen, und das noch in Kathrins Gesellschaft. Immer wieder stöhnte sie leise. Als sie den Strand verlassen hatten und an ein kleines Waldstück kamen, blieb sie stehen.
»Ich kann nicht mehr«, flüsterte sie.
Tom hatte den Verdacht, sie dramatisierte, aber sie sah tatsächlich zum Gotterbarmen aus. »Es gibt hier eine kleine Hütte«, sagte er. »Da können wir hingehen, und du kannst dich etwas ausruhen.« Insgeheim hoffte er, sie würde dann für ein paar Minuten aufhören zu jammern.
»Ja, gut«, sagte Kathrin schwach. Sie hatte kaum noch die Kraft zu gehen und war bereit, alles zu tun, was Tom ihr sagte. Langsam stapften sie durch den Wald. Die Pferde schnaubten leise. Als die Hütte in Sicht kam, blieb Tom plötzlich stehen.
»Sei mal still«, sagte er leise.
Kathrin sah ihn verwundert an. Dann hörte sie es auch. Aus der Hütte klangen Stimmen.
Jemand sagte: »Das ist dann aber auch das letzte Mal. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. In dieser Gegend ist man schon zu aufmerksam.«
»Sei still«, knurrte ein anderer. »Und du funktionierst, ist das klar?«
Er bekam keine Antwort. Die Tür der Hütte wurde aufgestoßen, und eine Frau trat heraus. Nur für eine Sekunde konnte Tom sie von vorne sehen, dann hatte sie sich schon wieder abgewandt. Er hatte sie nicht erkannt. Sie trug ein Kopftuch und eine große Sonnenbrille. Ihre Gestalt war schmal. Das blaue Kleid, das sie anhatte, kannte er nicht.
»Was ...«, begann Kathrin, aber Tom fuhr sie leise an: »Sei doch still!«
Kathrin schwieg. Die Frau verschwand auf einem schmalen Pfad, der hinter der Hütte ins Dickicht führte. Richtung Eulenburg!
Tom überlegte, ob wohl Chris in der Nähe war. Wenn er seine Aufgabe, die Lehrerin zu beschatten, ernst nahm, müsste er sich hier irgendwo herumdrücken. Er machte es geschickt, keine Spur war von ihm zu entdecken.
Wenn ich Kathrin jetzt nicht dabeihätte, könnte ich versuchen, die beiden Männer zu belauschen, dachte Tom verärgert. Andererseits aber wäre er ohne Kathrin nie um diese Zeit an diesem Ort gewesen.
Er zuckte zusammen, als sich die Tür wieder öffnete und zwei Männer heraustraten. Sie schauten sich vorsichtig um. Diesmal gab es für Tom keinen Zweifel, um wen es sich handelte: Vater und Sohn Mommsen!
»Ich halte es für zu riskant«, sagte der junge Mommsen eindringlich. »Wir sollten aufhören. Man soll immer aufhören, wenn die Geschäfte am besten laufen.«
»Ich bestimme hier«, knurrte sein Vater. »Und jetzt will ich nichts mehr hören!« Die beiden wandten sich zum Gehen. Gerade in diesem Augenblick konnte sich Kathrin nicht länger zurückhalten. Die ganze Zeit über hatte sie die Hand verzweifelt auf die Nase gedrückt, aber nun ging es nicht mehr. Laut und deutlich klang ihr Niesen durch den Wald.
Die beiden Männer fuhren herum.
»Da ist jemand!«, rief der alte Mommsen. Sein Gesicht sah hässlich und böse aus. Er rannte direkt auf die Kinder zu.
Tom begriff sogleich, dass er und Kathrin in höchster Gefahr waren. Diese Leute, davon war er nun überzeugt, waren Verbrecher, und sie mussten annehmen, dass die Kinder allzu viel von ihnen wussten. Außerdem würden sie glauben, dass sie schon viel länger hier standen und den neuen Plan, der eben offenbar geschmiedet worden war, mitgehört hatten. Wer wusste, wozu sie fähig waren? Tom griff blitzschnell nach Kathrins Hand.
»Wir müssen weg«, zischte er. »Renn, so schnell du kannst!«
»Die Pferde ...«
»Denen tun sie nichts. Und die finden allein zurück. Los jetzt!«
Ihre Chance war das Dickicht. Noch hatten die Männer sie nicht gesehen. Aber gleich würden sie wissen, wo sie waren, gleich - wenn sie den ersten Schritt taten und die Äste
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