Mitternachtspicknick
Wälder rötlich in der Abendsonne.
Als sie an eine Wegbiegung kamen, sagte Tom: »Passt auf, gleich habt ihr den ersten Blick aufs Meer!«
Seine Stimme klang so, als sei das ein Erlebnis und habe auch für ihn noch nichts von seinem Zauber verloren. Die Mädchen richteten sich gespannt auf. Schon bog der Wagen um die Kurve. Hier standen keine Bäume mehr, und sie konnten über die Wiesen sehen bis hin zu dem tiefblauen Streifen in der Ferne, auf dem golden die Sonne glitzerte. Ein paar Möwen kamen kreischend vom Meer ins Land hinein.
»Ist es nicht schön?«, fragte Angie strahlend. »Oh, Tom, meinst du, wir können auch am Meer entlangreiten?«
»Klar. Aber das bestimmt Simone. Sie ist unsere neue Reitlehrerin.«
»Darf man auch alleine ausreiten?«, erkundigte sich Kathrin.
Tom schüttelte den Kopf. »Nein. Wenigstens zu zweit. Das ist sicherer.«
Kathrin schob die Unterlippe vor.
»Das passt ihr gar nicht«, flüsterte Angie Diane zu. »Sieh nur, wie sie guckt!«
Diane musste lachen. Kathrin sah gar zu gequält aus. Tom wandte sich zu ihnen um. »Seht ihr das Bauernhaus dort hinten?« Er wies auf ein lang gestrecktes flaches Haus, das sich zwischen den Wiesen in eine Talmulde schmiegte. Es sah düster und ein wenig abweisend aus.
»Das ist der Krähenhof. Dort solltet ihr besser nicht hingehen. Die Besitzer sind etwas seltsam. Sie mögen keine Fremden auf ihrem Land.«
»Warum nicht?«, fragte Angie.
Tom zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Sie sind eben unfreundlich.«
Der Weg führte dicht am Krähenhof vorbei. Die Mädchen konnten die dunklen Fenster und den abgebröckelten Putz an der Hauswand erkennen. Eine Krähe hob sich von einem Holzstapel vor der Scheune und stieß einen schrillen Schrei aus. Alle zuckten zusammen.
»Wie unheimlich«, sagte Diane schaudernd. »Warum ist ...« Sie konnte den Satz nicht zu Ende bringen, denn aus der Scheune war das gequälte Aufjaulen eines Hundes zu hören. Hell und verzweifelt durchschnitt es die Stille des Abends.
»Was war denn das?«, fragte Angie.
Tom presste die Lippen aufeinander. Er sah sehr zornig aus. »Die gehen mit ihrem Hund so schlecht um. Man kann ihn oft weinen hören. Der alte Mommsen ist mit sich und der Welt verfeindet. Er behandelt jeden wie den letzten Dreck.«
Die Kutsche rollte weiter. Diane drehte sich noch einmal um und blickte zurück. Deutlich konnte sie an einem der oberen Fenster eine Gestalt erkennen - das Gesicht eines Mannes, der zu ihnen hinunterstarrte, mit einem merkwürdig verzerrten Mund. Sie seufzte erschrocken.
»Da oben ist jemand«, sagte sie hastig, doch als die anderen sich umdrehten, war der Mann bereits verschwunden.
Tom nickte, als Diane das Gesicht des Mannes beschrieb. »Das muss der alte Mommsen gewesen sein. Er sieht zum Fürchten aus. Aber jetzt«, seine Stimme klang wieder hell, »vergesst den Krähenhof. Denn vor euch liegt die Eulenburg!«
Wieder bogen sie um eine Kurve, und vor ihnen breiteten sich sanft abfallende Wiesenflächen aus. Sie konnten das Meer sehen, und auf einer breiten Landzunge, die, von Deichen eingesäumt, ins Wasser hinausragte, stand ein großes altes Haus, beinahe wirklich wie eine Burg anzusehen mit seinen vielen Türmen und Erkern. Es war aus dunkelrotem Stein gebaut und umrankt von blühenden Rosen. In den Fenstern spiegelte sich die Abendsonne.
»Oh, ist das schön!«, rief Diane, und Angie stimmte begeistert zu.
»Es ist zauberhaft. Wo sind denn die Ställe?«
»Hinter dem Haus. Wir können sie von hier noch nicht sehen«, erklärte Tom.
Auf dem Hof herrschte großes Durcheinander. Ein paar Kinder waren gerade von einem Ausritt zurückgekehrt und putzten ihre Pferde. Andere waren damit beschäftigt, Sattel und Zaumzeug zu reinigen. Ein paar saßen auch nur herum und unterhielten sich, und einige schienen ebenfalls erst heute angekommen zu sein, denn sie standen etwas hilflos in der Gegend. Tom sprang vom Kutschbock.
»Wir sind da«, sagte er. »Alles aussteigen!«
Kathrin blieb sitzen und sah sich um. Dies alles gefiel ihr gar nicht. Sie hatte viel mehr Eleganz erwartet - irgendetwas Mondänes. Nicht dieses Bauernhaus und so viele sportliche Jungen und Mädchen. Sie seufzte. »Ich glaube, diese Ferien werden fürchterlich langweilig«, murmelte sie.
Frau Andresen begrüßte ihre neuen Gäste mit offener Herzlichkeit. »Wie schön, dass ihr da seid! Und wie nett, dass ihr drei einander schon kennengelernt habt. Ihr werdet euch ein Zimmer teilen.«
Diane und
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