Mitternachtsschatten
ließ den Motor aufheulen und raste davon, während er unter einer Palme stand und ihr nachsah. Er konnte sich nicht entscheiden, ob es ihn mehr nach der Frau oder nach dem Auto verlangte. Und vor allem, was davon er hinterher behalten wollte.
Er zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich weder noch. Nach fast einem Jahr kam endlich etwas Bewegung in sein Vorhaben, und es wurde auch höchste Zeit. Jilly Meyers dickköpfige Haltung zu brechen war dabei nur das Sahnehäubchen, es ging ja in Wirklichkeit um viel mehr.
Eigentlich hatte er vorgehabt, Rachel-Ann zu verführen und zeitgleich den Rest der Familie Meyer zu vernichten. Rachel-Ann war offenkundig die Verletzlichste der Geschwister, das wusste er, obwohl er sie bisher nie zu Gesicht bekommen hatte, noch nicht einmal aus der Ferne. Seit er in L.A. wohnte, war sie zunächst mit ihrem dritten Mann in den Flitterwochen gewesen, hatte dann eine schnelle Scheidung hinter sich gebracht und lange Zeit in Kliniken und Entgiftungs-Zentren verbracht. Mit 33 war sie, wie er gehört hatte, noch immer sehr schön und sehr einfach zu haben. Doch ihn reizte die Herausforderung, das undefinierbare Vergnügen, das Jilly Meyer ihm bereitete. Sie wäre ein köstliches Dessert in seinem Menüplan aus Wahrheit und Rache.
Zunächst aber musste er sich bei den drei ungleichen Geschwistern einschleichen. Er blickte an dem teuren, exklusiven Apartment-Haus hoch, in dem er seit einem Jahr lebte, umgeben von Geschäftemachern und Händlern, die genauso skrupellos waren wie er selbst.
Es war höchste Zeit, einen kleinen Brand zu legen.
Jilly jagte die lang gezogene Einfahrt zu La Casa hinauf, kleine Kieselsteine spritzten unter den Rädern hoch. In der riesigen Garage, in der sieben Autos Platz hatten, kam sie abrupt zum Stehen. Ihre Hände zitterten, als sie den Motor abstellte. Sie blieb mit geschlossenen Augen sitzen, noch immer angeschnallt, und versuchte, sich zu beruhigen.
Sie hatte sich komplett lächerlich gemacht. Allein die Tatsache, dass sie im Wartezimmer ihres Vaters eingeschlafen war! Und dann ließ sie es auch noch zu, dass dieser idiotische Coltrane sie zur Weißglut brachte. Er war genau so, wie Dean ihn beschrieben hatte: ruhig, attraktiv und so verdammt selbstsicher, dass sie ihn am liebsten geohrfeigt hätte. Außerdem irrte sich Coltrane in einem Punkt gewaltig: Teil des Problems war nämlich, dass er genau Deans Typ entsprach! Leider schien Coltrane Deans sexuelle Vorlieben nicht zu teilen, was alles viel einfacher gemacht hätte. Dann würde er sie nicht ansehen, als sei sie Julia Roberts, und sie in Ruhe lassen.
Sie lehnte sich vor und legte ihre Stirn auf das lederbezogene Lenkrad. Sie hatte überhaupt keine Lust auf so etwas. Sie war es leid, ständig auf ihre Geschwister und das Haus aufzupassen, das immer mehr verfiel. Dieses Haus, das sie mit absoluter Hingabe liebte.
Es war schon spät. In der legendären Casa de las Sombras war es still, selbst die Geister schwiegen. Dean war entweder nicht zu Hause oder saß vor seinem Computer, und nur Gott konnte wissen, was Rachel-Ann gerade tat. Vor drei Monaten war sie aus der Entziehungskur zurückgekommen, und es war anzunehmen, dass sie demnächst wieder rückfällig werden würde. Bisher war sie fast jeden Abend ausgegangen, aber früh, nüchtern und schweigsam zurückgekommen. Sollte sie jetzt schon zu Hause sein, dann würde sie jemanden suchen, den sie nerven konnte, und das war dann mit Sicherheit sie, Jilly.
Sie kletterte aus dem Auto und unterdrückte ein Seufzen. Sie würde das schon hinkriegen. Schließlich war sie in der glücklichen Lage, von gar nichts abhängig zu sein, auch nicht von Gefühlen. Sie würde auch weiterhin für ihre Geschwistern da sein, wenn sie sie brauchten.
Jilly zog die schwere Holztüre der Garage zu. Sollte sie jemals etwas Geld übrig haben, dann wollte sie einen automatischen Garagenöffner einbauen lassen. Dean besaß zwei Autos, wobei keines davon wirklich zuverlässig war, und Rachel-Ann fuhr einen BMW. Außerdem stand da noch der rostige Düsenberg, der einmal Brenda de Lorillards Geliebtem gehört hatte. Einen automatischen Türöffner für diese riesige Garage einbauen zu lassen, wäre geradezu unerschwinglich.
Sie lief auf dem Schotterweg auf das Haus zu und genoss die herrliche Stille. Zu dem von Palmen überwucherten Grundstück drang der Lärm der Stadt nicht durch, es war wie eine perfekte Oase der Ruhe und Sicherheit. Nur wenige Lichter brannten im Haus, als
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