Mitternachtsschatten
auseinander zu bringen, würde noch besser sein, Auge um Auge. Coltrane war in der unbarmherzigen Armut des kalten Mittleren Westens aufgewachsen, mit einem Vater, der zu betrunken war, um ihn wahrzunehmen. Das Mindeste, das Coltrane tun konnte, war, es Jackson Meyer heimzuzahlen.
Das Problem war, jemanden zu finden, für den sich der sonnenstudiogebräunte Jackson Meyer auch nur halb so sehr interessierte wie für sich selbst. Seine Vorzeigefrau behandelte er wie ein ungeduldiger Vater, seine beiden jüngsten Kinder wie noch nicht stubenreine Hündchen. Coltrane war überzeugt, dass er sich nicht einmal an ihre Namen erinnerte. Und so selten, wie er über seine Tochter Jilly sprach, spielte sie für ihn kaum eine Rolle. Doch bei Rachelnn war das etwas anderes. Rachel-Ann war sein wunder Punkt, und genau dort wollte Coltrane ihn treffen. Es war ihm bereits gelungen, Dean aus der Firma zu drängen. Meyers einziger Sohn hatte die Schlacht verloren, ohne auch nur einen einzigen Schuss abzugeben, und vergrub sich jetzt schmollend hinter seinen Computern. Nach allem, was er gehört hatte, hatte Rachel-Ann den überwiegenden Teil ihres Lebens ganz nahe am Abgrund verbracht. Also tat er ihr doch nur einen Gefallen, wenn er sie über den Rand stieß, anschließend einen Schritt zurücktrat und Meyer dabei zusah, wie er sich hinterherstürzte. Coltrane weigerte sich, darüber nachzudenken, was für ein Mensch er hinterher sein würde.
Er schenkte sich einen Scotch ein und trug ihn auf die Terrasse, wo er ihn langsam trank. Es war der beste Scotch, den er hatte finden können, und in Gedanken prostete er seinem Vater zu, der sich zu Tode gesoffen hatte. Seit zehn Jahren forderte er auf diese Art das Schicksal heraus, ihm das Gleiche anzutun wie seinem Vater, und dabei schmeckte es ihm noch nicht einmal.
Sein Plan war einfach. Er würde Jilly benutzen, um ihre zerbrechliche ältere Schwester kennen zu lernen. Er war ein geduldiger Mann, doch nun hatte er lange genug gewartet. Zwar wollte er keine unschuldigen Menschen verletzen, aber das waren Meyers drei erwachsene Kinder sicherlich nicht.
Die Nacht brach herein, Coltrane stand mit dem Rücken zu seinem perfekt eingerichteten Apartment und starrte über Los Angeles hinweg. Das erwartungsvolle Kribbeln in seinen Adern war eine weitaus gefährlichere Droge als Alkohol. Morgen Abend würde er die legendäre Casa de las Sombras sehen und endlich die Antworten bekommen, auf die er so viele Jahre gewartet hatte.
Das Telefon klingelte drei Mal, bevor er abnahm, und er wusste schon vorher, wer es sein würde.
„Sind Sie sie losgeworden?“ bellte Jackson Meyer ins Telefon.
„Zunächst mal, ja. Sie hatten mir nicht gesagt, dass Sie sich etwas Endgültigeres vorstellen“, sagte er gelangweilt.
Einen Moment lang blieb es am anderen Ende der Leitung still. „Gibt es denn etwas Endgültiges, das Sie tun könnten?“
„Natürlich, ich könnte einen Auftragskiller anheuern, falls Sie das wünschen …“
„Das ist nicht witzig, Coltrane“, antwortete Meyer kühl. „Es ist nicht mein Stil, meine eigenen Kinder umbringen zu lassen.“
Nicht die Kinder, aber die Geliebte, dachte Coltrane und starrte in sein Glas. „Dann wird sie keine Ruhe geben, bis sie von Ihnen bekommt, was sie will. Sie wissen doch, wie hartnäckig Frauen sein können.“
„Sie war schon immer eine dickköpfige Hexe. Genau wie ihre Mutter“, schimpfte Meyer. „Was will sie eigentlich von mir?“
„Das hat sie mir nicht gesagt, aber ich schätze, es geht in die Richtung, dass sie Ihren eigenen Sohn mehr lieben und mich auf den Grund des Meeres versenken sollten.“
Meyers trockenes Kichern klang ein wenig asthmatisch. „Sie haben keinen besonders guten Eindruck auf sie gemacht, was? Ich habe Sie ja gewarnt. Sie kann sehr schwierig sein. Was haben Sie jetzt vor?“
„Ich werde morgen Abend mit ihr Essen gehen.“
„Sie wird nicht mit Ihnen schlafen, falls sie darauf spekulieren. Dazu ist sie viel zu prüde.“
„Wieso sollte ich mit ihr schlafen wollen?“ Coltrane nahm noch einen Schluck Scotch. Das Eis war inzwischen geschmolzen, der Drink schmeckte wässrig.
„Egal. Kümmern Sie sich nur weiterhin um sie. Bestimmt ist Ihnen aufgefallen, dass sie recht gut aussieht. Kein Vergleich mit Rachel-Ann natürlich, aber sie ist doch hübsch genug, selbst mit diesen schrecklichen Haaren. Außerdem ist mir zufällig bekannt, dass Sie gerade nicht gebunden sind.“
Coltrane zweifelte keine Sekunde
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