Mitternachtsschatten
offensichtliche Verachtung ließ sie zusammenzucken, und sie starrte ihn an.
„Offenbar wissen Sie nicht, dass ich nicht vom Geld meines Vaters lebe. Das wundert mich doch sehr. Vielleicht sind Sie in seine Angelegenheiten doch nicht so eingeweiht, wie Dean vermutet.“
Coltrane lächelte. „Sie haben die Wahl, Jilly. Sie können die Nacht damit verbringen, einunddreißig Stockwerke hoch und runter zu laufen, oder Sie können meine Hilfe annehmen.“
Im Moment schien es ihr tatsächlich angenehmer, im Treppenhaus eingesperrt zu sein als mit Coltrane in dem bronzefarbenen Aufzug im Art-déco-Stil, den Jackson in das Meyer-Gebäude hatte einbauen lassen. Doch das wollte sie ihm nicht verraten.
„Dann rufen Sie doch schon diesen Fahrstuhl“, sagte sie resigniert. Sie fühlte sich wieder wie auf dem Karren, der unerbittlich der Guillotine entgegenfuhr.
Coltrane gab schnell eine andere Zahlenkombination ein, und die Tür öffnete sich sofort. Sie hatte keine Ahnung, warum der Aufzug bereits auf der richtigen Etage war, aber sie wollte nicht nachfragen. Es war schon schwer genug, mit dem Widersacher ihres Bruders in ein und denselben Fahrstuhl zu steigen.
Jilly litt ein wenig unter Höhen- und Platzangst, aber auch unter Angst vor Männern wie Coltrane. Große, unglaublich attraktive, selbstsichere Männer, die genau wussten, wie beunruhigend sie wirkten. Es war eine raffiniert erotische Beunruhigung, also die schlimmste ihrer Art, und normalerweise war sie für so etwas unempfänglich. Trotzdem wäre sie lieber nicht mit ihm zusammen in den engen Fahrstuhl gestiegen.
Leider hatte sie keine Wahl. Er beobachtete sie, während er wartete, doch sie konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten. Schließlich trat sie, von Coltrane gefolgt, in den Aufzug, die Türen schlossen sich mit einem leisen Zischen, und Jilly wappnete sich, um ihrem Verhängnis sehenden Auges entgegenzutreten.
2. KAPITEL
J ackson Meyers Tochter hatte Angst vor ihm! Coltrane war fasziniert von dieser Entdeckung. Er wünschte, es gäbe einen Weg, den Aufzug anzuhalten, damit sie noch länger mit ihm in einem engen Raum eingesperrt war.
Er hatte sie beim Schlafen beobachtet, erstaunt darüber, dass sie ganz anders war, als er sie sich vorgestellt hatte. Er hielt nicht viel von Dean und hatte sich deshalb ein ganz bestimmtes Bild von dessen Geschwistern gemacht. Hinzu kam, was er über Rachel-Anns unersättlichen Appetit auf Drogen und Sex gehört hatte. Er war davon ausgegangen, dass Jillian ebenso genusssüchtig und selbstzerstörerisch veranlagt sein und ihrem Vater mehr ähneln würde.
Jilly Meyer war keine der typischen Blondinen, wie man sie überall in Kalifornien sah. Sie hatte eine braune Mähne, einen kräftigen Körper und endlos lange Beine. Sie war wahrlich keine zierliche Blume. Ihre körperliche Präsenz war aggressiv und erregend zugleich, selbst jetzt, als sie sich in die hinterste Ecke des Aufzugs presste.
Es überraschte ihn, dass sie klug genug war, Angst vor ihm zu haben, schließlich war er sehr gut darin, sich als lässiger, harmloser Südkalifornier auszugeben. Niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, wie gefährlich er in Wirklichkeit sein konnte.
Ausgenommen Jilly Meyer, die aussah, als wünschte sie, dass der Boden sich vor ihr auftäte und sie verschlänge. Ihre Kleidung war zerknittert, ihr Haar zerzaust, und sie wirkte schläfrig, vorsichtig und feindselig zugleich. Das war wirklich eine unwiderstehliche Kombination.
Coltrane gab sich kurz der anschaulichen Fantasie hin, wie er den Notfallknopf drücken, sie gegen die Fahrstuhlwand pressen und ihren viel zu kurzen Rock hochschieben würde. Er stellte sich vor, wie sie ihre langen, starken Beine um seine Hüften schlingen und endlich aufhören würde, ihn so fragend anzuschauen.
Im Erdgeschoss öffnete sich die Fahrstuhltür mit einem leisen Zischen, und seine Fantasie löste sich auf – unerfüllt. Sie gingen zu der Tür, die zu den Garagen führte. Er tippte den Code für die Garage ein, worauf ein Brummen ertönte. Als er die Tür aufstieß, schob sich Jilly an ihm vorbei, und er wünschte sich fast, dass sie versuchen würde wegzurennen. Es würde Spaß machen, sie aufzuhalten.
Aber sie war viel zu gut erzogen. Sie streckte ihm ihre schmale Hand entgegen, und er bemerkte, dass sie elegante, schlichte Ringe aus Silber trug. Seine Hand verschluckte ihre geradezu, und er drückte sie so fest, dass sie ihn nicht länger übergehen konnte. Sie schaute
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