Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
nicht anfassen, nach allem, was passiert war. Also hab ich mich um dich gekümmert. Ein Kind, das ein Kind großzieht. Ich kann mich noch entsinnen, wie ich dich auf dem Schoß hatte. Da war ich selber höchstens vier oder fünf. Wenn ich in der Küche zu arbeiten hatte, hab ich dich neben mich gesetzt. Abends haben wir Mutter und Kind gespielt. Und als Mama starb, hatte ich nur noch dich. Deshalb bin ich nie von Risen Glory weggegangen, selbst nachdem du in New York warst. Ich wollte dich nicht im Stich lassen. Aber nach deiner Rückkehr kamst du mir vor wie ein völlig anderer Mensch, Teil einer Gesellschaft, zu der ich niemals gehören würde. Ich war eifersüchtig und auch eingeschüchtert. Verzeih mir, was ich jetzt tue, Kit. Du hast deinen Platz im Leben gefunden, und für mich wird es Zeit, an meine Zukunft zu denken.« Sie umarmte Kit hastig und verschwand.
Eine kurze Weile später fand Cain Kit im Salon. Sie stand noch immer mitten im Raum. Ihr Körper angespannt, ihre Hände zu Fäusten geballt.
»Wo zum Teufel ist … Kit? Was ist mit dir?«
Blitzartig schoss er zu ihr. Kit hatte das Gefühl, als wäre sie aus einem Trancezustand gerissen worden. Mit einem zerrissenen Schluchzen sank sie an seine Brust. Er
nahm sie in die Arme und führte sie zu dem Sofa. »Erzähl mir, was passiert ist.«
Seine Umarmung tat gut. Er hatte sie noch nie so umschlungen – beschützerisch, ohne den Hauch von Leidenschaft. Sie fing an zu weinen. »Sophronia verlässt uns. Sie geht nach Charleston, um … um die Geliebte von James Spence zu werden.«
Cain fluchte leise. »Weiß Magnus es schon?«
»Ich … ich glaube nicht.« Sie rang nach Atem. »Sie hat es mir eben erzählt … Sophronia ist meine Schwester.«
»Deine Schwester?«
»Sie ist Garrett Westons Tochter, genau wie ich.«
Er streichelte mit dem Daumen über ihr Kinn. »Du hast zeitlebens im Süden gelebt und müsstest eigentlich wissen, was früher hier gelaufen ist. Und Sophronias Haut ist ziemlich hell.«
»Du verstehst das nicht.« Sie biss die Kiefer zusammen und entrüstete sich unter Tränen: »Mein Vater hat sie nachts seinen Freunden überlassen. Obwohl er wusste, dass sie seine Tochter war, sein eigen Fleisch und Blut!«
»Oh Gott …« Cain wurde aschfahl im Gesicht. Er zog sie fester in seine Umarmung und schmiegte seine Wange an ihr Haar. Stockend berichtete sie ihm die Einzelheiten. Als sie geendet hatte, meinte Cain zähneknirschend: »Ich hoffe, er schmort in der Hölle.«
Nachdem sie sich die Geschichte von der Seele geredet hatte, dämmerte Kit, was sie zu tun hatte. Sie schnellte vom Sofa hoch. »Ich muss sie aufhalten. Auf so etwas darf sie sich unter gar keinen Umständen einlassen.«
»Sophronia ist eine freie Frau«, erinnerte er sie sanft. »Wenn sie was mit Spence anfangen will, geht uns das nichts an.«
»Sie ist meine Schwester! Ich liebe sie, da lass ich sie doch nicht in ihr Unglück rennen!«
Ehe Cain reagieren konnte, stürmte sie aus dem Raum.
Draußen versteckte Kit sich hinter den Bäumen vor dem Haus. Zähneklappernd wartete sie in der feuchtkalten winterlichen Witterung darauf, dass Cain hinauskäme. Und richtig, er tauchte alsbald auf. Er kam die Stufen hinunter und blickte suchend über die Auffahrt. Als er sie nirgends entdeckte, drehte er sich fluchend um und steuerte zum Stall.
Sobald er außer Sichtweite war, lief sie zurück ins Haus und zum Gewehrschrank in der Bibliothek. Sie rechnete zwar nicht damit, dass James Spence ihr großartig Ärger machen würde, aber eine Waffe verlieh ihren Argumenten bestimmt mehr Gewicht. Es kam nämlich überhaupt nicht in Frage, dass Sophronia mit ihm ging.
Einige Meilen von der Plantage entfernt überholte James Spence’ rotschwarzer Einspänner die von Magnus gelenkte Kutsche. Spence hatte es aber verdammt eilig, überlegte Magnus, als das Gefährt in einer Staubwolke hinter der Biegung verschwand. Da die Straße nur nach Risen Glory und zur Baumwollspinnerei führte, hatte Spence sicher in der Spinnerei zu tun.
Vollkommen logisch, trotzdem behagte Magnus das Ganze nicht. Er ließ die Zügel auf die Pferde niedersausen. Während er nach Risen Glory eilte, ging ihm durch den Kopf, was er über Spence wusste.
Im Dorf wurde gemunkelt, er sei in Illinois Vorarbeiter in einem Steinbruch gewesen und nach dem Krieg mit Satteltaschen voller Dollar in den Süden gekommen. Jetzt hatte er eine lukrative Phosphatmine und ein Auge auf Sophronia geworfen.
Spence’
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