Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
Fröhlichkeit. Einzig Veronica Gamble ahnte um die tiefe Verzweiflung hinter ihrem Lachen.
Einige der anwesenden Damen beneideten Kit um ihr forsches Auftreten, die meisten waren jedoch schockiert. Sie hielten heimlich Ausschau nach dem skrupellosen Mr. Cain, doch der ließ sich nicht blicken. Irgendjemand flüsterte, dass er in der Bibliothek Poker spielen und haushoch verlieren würde.
Man spekulierte freimütig über Cains Ehe. Das Paar hatte nicht ein einziges Mal miteinander getanzt. Sogar von einer Mussheirat war die Rede. Allerdings wirkte Katharine Cain so gertenschlank wie immer, folglich konnte das nicht stimmen.
Die Pokerrunde endete um kurz vor zwei in der Nacht. Zwar hatte Cain mehrere hundert Dollar verloren, aber seine düstere Stimmung hatte andere Ursachen. Er stand in der Tür zum Ballsaal und beobachtete, wie seine Frau in
den Armen des Italieners über das Tanzparkett schwebte. Einige Locken hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und ringelten sich wild um ihre Schultern. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen von einem tiefen Roséton, als hätte sie noch eben feurig geküsst. Der Blick des Baritons klebte wie ein Magnet an ihr.
Ein Muskel in Cains Wange zuckte. Er schob sich an dem vor ihm stehenden Paar vorbei und wollte eben die Tanzfläche betreten, als John Hughes ihn am Arm packte.
»Mr. Cain, Will Bonnett da drüben behauptet steif und fest, dass die gesamte Unionsarmee den Konföderierten im Grunde genommen nie das Wasser reichen konnte. Was meinen Sie dazu? Standen Sie jemals einem Konföderierten gegenüber, den Sie nicht hätten besiegen können?«
Das Gespräch bewegte sich auf gefährliches Terrain zu. Cain wandte den Blick von seiner Frau ab und konzentrierte sich auf Hughes. Obwohl die Kapitulation in Appomatox nahezu vier Jahre zurücklag, waren die Spannungen zwischen Nord- und Südstaatlern weiterhin spürbar. Traf man wie bei diesem gesellschaftlichen Anlass aufeinander, wurden Diskussionen über den Krieg für gewöhnlich vermieden.
Cain spähte zu der Gruppe von sieben oder acht Männern, die sich aus Unionssoldaten und Konföderiertenveteranen zusammensetzte. Ganz offensichtlich hatten sie einen über den Durst getrunken, denn ihre anfangs höfliche Diskussion war in offene Feindseligkeit umgeschlagen.
Nach einem letzten Blick zu Kit und dem Italiener schlenderte er mit Hughes zu den Männern. »Der Krieg ist vorbei, Leute. Was halten Sie davon, wenn wir alle einen Schluck von Mrs. Gambles hervorragendem Whiskey probieren?«
Die Gemüter waren aber bereits zu sehr erhitzt. Will
Bonnett, ein ehemaliger Reispflanzer, der im selben Regiment wie Brandon Parsell gedient hatte, deutete mit dem Zeigefinger auf einen der Nordstaatler, der für die Militärbehörde arbeitete. »Wir Konföderierten haben bis aufs Blut gekämpft, das müssten Sie doch am besten wissen.«
Allmählich wurden die anderen Gäste auf die hitzige Debatte aufmerksam. Da die Auseinandersetzung zunehmend lauter wurde, hörte man auf zu tanzen und scharte sich dazu.
Will Bonnett entdeckte Brandon Parsell, der mit seiner Verlobten und deren Eltern zusammenstand. »Brandon, sag du es ihnen. Kennst du einen, der besser schießt als unsere Jungs? Komm her zu uns. Erzähl diesen Blauröcken, wie es wirklich war.«
Widerwillig trat Parsell zu ihnen. Stirnrunzelnd gewahrte Cain, dass Kit ebenfalls hinzukam, statt sich wie die anderen Frauen im Hintergrund zu halten. Hatte er etwas anderes erwartet?
Als Will Bonnett schließlich die Musiker übertönte, hörten sie auf zu spielen und lauschten dem Disput. »Wir waren in der Unterzahl«, erklärte Bonnett, »und ihr Yankees habt uns nicht ein einziges Mal geschlagen.«
Ein Nordstaatler trat vor. »Sie vergessen verdammt schnell, Bonnett. Was war beispielsweise mit Ihrer Niederlage bei Gettysburg?«
»Wir wurden nicht besiegt!«, erregte sich ein Kriegsveteran neben Will Bonnett. »Das war reiner Zufall. Unsere zwölfjährigen Jungs konnten nämlich besser schießen als euer gesamtes Offizierskorps.«
»Donnerwetter noch mal, selbst unsere Frauen konnten besser schießen als Ihre Offiziere!«
Alles lachte über diesen Scherz, und man klopfte dem Witzbold anerkennend auf die Schulter. Nur Brandon war nicht zum Lachen.
Er spähte von Kit zu Cain. Dass die beiden geheiratet hatten, war wie ein bohrender Stachel in seinem Fleisch. Zugegeben, anfangs war er erleichtert gewesen, dass die Ehe mit der temperamentvollen Kit nicht zustande gekommen war, auch wenn
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