Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
ihr kokettes Lachen, ja selbst ihre scheinheilig besorgte Miene, wenn er müde von der Spinnerei heimkam. Und vor allem, dass sie ihm noch immer so verflucht viel bedeutete.
»Stellen Sie die Flaschen auf«, sagte er dumpf. »Und bringen Sie Laternen, damit wir da draußen was sehen können.«
Unter lautem Gelächter machten sich die Männer auf die Suche – die Animositäten zwischen Nord- und Südstaatlern schienen schlagartig vergessen. Die Frauen bekamen gerötete Wangen vor Aufregung, weil sie Zeuginnen
eines solchen Skandals werden durften. Um nicht in die unmittelbare Nähe von Kit zu kommen, traten sie ein paar Schritte zurück, worauf das Ehepaar ziemlich allein im Saal herumstand.
»Gleich bekommst du dein Wettschießen«, knirschte Cain mit versteinerter Miene, »so wie du noch immer alles bekommen hast, was du dir in den Kopf setzt.«
Wann hatte sie denn jemals bekommen, was sie sich wünschte, überlegte Kit frustriert. »Hast du Angst, ich könnte besser abschneiden als du?«, versetzte sie gallig.
Er zuckte mit den Schultern. »Schätze mal, die Chance besteht. Ich bin ein guter Schütze, aber du bist besser. Das weiß ich seit jenem Abend, an dem du mich erschießen wolltest. Damals warst du achtzehn.«
»Du konntest dir schon denken, wie ich reagieren würde, als du dich vorhin nicht auf das Wettschießen einlassen wolltest, stimmt’s?«
»Mag sein. Vielleicht hast du aber auch zu viel Champagner getrunken, und ich bin dadurch im Vorteil.«
»Darauf würde ich mich an deiner Stelle nicht verlassen«, gab sie eine Spur zu selbstbewusst zurück. Sie hatte nämlich zu viel getrunken, aber das ging ihn einen feuchten Dreck an.
Veronica glitt zu ihnen, ihre Miene angespannt. »Warum macht ihr das? Wären wir in Wien, könnte ich das vielleicht verstehen, aber das hier ist Charleston. Kit, Sie wissen, dass Sie das Ihre gesellschaftliche Stellung kostet.«
»Mir egal.«
Veronica wirbelte zu Cain herum. »Und Sie… Wie können Sie bei so etwas mitmachen?«
Ihre Worte trafen auf taube Ohren. Will Bonnett kehrte mit seinem Pistolenkasten zurück, und Kit und Cain traten durch die Terrassentüren in den Garten.
20
Trotz der Neumondnacht war es im Garten fast taghell. Frisch entzündete Fackeln brannten in den Eisenhaltern, Kerosinlampen waren vom Haus ins Freie getragen worden. Ein Dutzend Champagnerflaschen stand aufgereiht auf der Backsteinmauer. Veronica stellte fest, dass nur die Hälfte der Flaschen leer war, und wies ihren Butler hastig an, die anderen auszutauschen. Ehre war eine Sache, aber dafür opferte man gewiss nicht teuren Champagner.
Die Südstaatler stöhnten betreten auf, als sie die beiden identischen Pistolen sahen, die Bonnett zum Vorschein brachte. Es handelte sich um die Konföderiertenversion des klassischen Revolvers, schlicht und zuverlässig, mit Walnussgriff und Messingrahmen statt der teureren Stahlvariante. Schwere, unhandliche Kriegswaffen und bestimmt nichts für eine Frau.
Allerdings war Kit das Gewicht gewöhnt und nahm die Pistole lässig aus dem Kasten. Sie schob sechs Papierpatronen in das leere Magazin und steckte jeweils Kupferzündhütchen darauf. Sie war geschickter als Cain und somit schneller fertig.
Die Entfernung wurde markiert. Fünfundzwanzig Schritte von ihrem Ziel entfernt sollten sie sich aufstellen. Jeder hatte sechs Schuss. Ladys first.
Kit trat hinter die in den Boden gekratzte Linie. Normalerweise wären leere Champagnerflaschen ein Klacks für sie gewesen, dummerweise hatte sie jedoch einen Schwips.
Sie drehte sich seitwärts, hob den Arm und fokussierte ihr Ziel. Drückte den Abzug und die Flasche explodierte.
Einige Männer johlten verblüfft auf.
Sie zielte auf die nächste Flasche, aber ihr Anfangserfolg
und der Alkohol hatten sie übermütig gemacht. Sie drückte zu schnell ab. Prompt verfehlte der zweite Schuss.
Cain verfolgte, wie sie die nächsten vier Flaschen von der Mauer feuerte. Sein Ärger wich anerkennender Bewunderung. Alle Achtung – fünf von sechsen, immerhin war sie nicht mehr nüchtern. Verflucht, sie war eine Wahnsinnsfrau. Wie sie dastand, eine schlanke, biegsame Silhouette im Schein der Fackeln, einen Arm ausgestreckt, bildete die tödliche Waffe in ihrer Hand einen markanten Kontrast zu ihrer anmutigen Schönheit. Wenn sie bloß nicht so schwierig wäre. Wenn sie doch bloß…
Sie senkte den Revolver und schnellte triumphierend zu ihm herum. Sie wirkte so selbstzufrieden, dass er sich ein Grinsen nicht
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