Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
munter über Frikassees, entfernte verwandtschaftliche Beziehungen und die Heilwirkung der Kamille, während Cains Miene sich zunehmend verdüsterte. Als sie ihm beim Dessert eine Dichterlesung im Salon vorschlug, machte er seinem Herzen Luft.
»Da muss ich Sie leider enttäuschen, Miss Calhoun.« Sein Blick glitt über den Tisch. »Katharine Louise hat einige vertrauliche Informationen aus New York mitgebracht. Tut mir leid, aber ich muss mich unbedingt mit ihr austauschen.« Eine seiner dunkelblonden Brauen schoss nach oben. »Und zwar schleunigst !«
Miss Dolly strahlte. »Aber selbstverständlich, werter General. Keine Frage. Machen Sie nur. Ich bleibe derweil hier sitzen und vergnüge mich mit den köstlichen Ingwerplätzchen. Also ich habe…«
»Sie sind eine echte Patriotin, Madam.« Er schob seinen Stuhl zurück und deutete zur Tür. »Wir treffen uns in der Bibliothek, Katharine Louise .«
»Ich … äh…«
»Jetzt gleich.«
»Beeilen Sie sich, meine Liebe. Der General ist ein viel beschäftigter Mann.«
»Das können Sie laut sagen«, versetzte er schroff.
Kit stand auf und folgte ihm. Na schön. Wurde auch Zeit für eine ernste Aussprache.
In der Bibliothek hatte sich wenig verändert. Gemütliche Sessel mit durchgesessenen Lederpolstern standen um einen alten Sekretär aus Mahagoniholz herum. Durch die
großen Fenster fiel viel Licht auf die Regale mit den altehrwürdigen, ledergebundenen Folianten.
Von jeher war dieser Raum ihr Lieblingsaufenthaltsort gewesen, auch wenn ihr der Zigarrenbefeuchter auf dem Schreibtisch genauso übel aufstieß wie die rot ausgekleidete Holzkiste mit dem Armeerevolver daneben. Am geschmacklosesten fand Kit allerdings das Ölporträt von Abraham Lincoln, das über dem Kaminsims hing, neben der Enthauptung des Johannes , einem Gemälde, das seit Urzeiten dort oben prangte.
Cain fläzte sich in den Sessel hinter dem Schreibtisch, schwang die Füße auf die Mahagoniplatte und schlug sie lässig übereinander. Kit ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie sich über seine Flegelhaftigkeit ärgerte. Am Nachmittag, mit ihrem Schleier und dem ganzen Drumherum, hatte er sie wie eine Dame behandelt. Jetzt war sie wohl wieder sein Stalljunge. So einfach kam er ihr nicht davon.
»Ich hatte dich doch gebeten, in New York zu bleiben«, hob er an.
»Stimmt.« Scheinbar interessiert glitt ihr Blick durch den Raum. »Das Porträt von Mr. Lincoln passt nicht in eine Plantage wie Risen Glory. Außerdem verletzt es das ehrende Andenken an meinen Vater.«
»Soweit ich weiß, hat sich dein Vater darum zu Lebzeiten nicht besonders geschert.«
»Sicher. Aber er war immerhin mein Vater, und er ist gestorben wie ein Held.«
»Der Tod hat nichts Heldenhaftes.« Sein kantiges Gesicht verhärtete sich im schwachen Lichtschein. »Wieso hast du gegen meine Anweisung gehandelt und New York verlassen?«
»Weil ich keinen Sinn darin sah.«
»Ich hatte meine Gründe dafür.«
»Das meinen Sie. Immerhin hatte ich unsere Abmachung erfüllt.«
»Ach? Unsere Abmachung lautete, dass du dich anständig benehmen solltest.«
»Ich habe die Academy abgeschlossen.«
»Es ging mir nicht nur um die Schule.« Die Füße weiterhin auf der Schreibtischplatte, zog er einen Brief aus einem Schubfach und knallte ihn auf den Tisch. »Ungemein aufschlussreich, allerdings nichts für schwache Nerven.«
Sie hob das Schreiben mit spitzen Fingern auf. Als sie die Unterschrift las, drehte sich ihr der Magen um. Hamilton Woodward .
Es ist meine traurige Pflicht, Ihnen zu berichten, dass sich Ihre Schutzbefohlene, die in den vergangenen Osterferien bei uns zu Gast war, so schockierend verhalten hat, dass es sich schwerlich in Worte kleiden lässt. Am Abend unserer alljährlichen Dinnerparty hat Katharine schamlos versucht, einen meiner Geschäftspartner zu verführen. Gottlob kam ich noch rechtzeitig hinzu, um Schlimmeres zu vereiteln. Der bedauernswerte Mann war am Boden zerstört. Er hat eine Frau und Kinder und ist bekannt in den hiesigen Wohlfahrtsverbänden. Ihr unverschämtes Benehmen lässt mich befürchten, dass sie womöglich an der Krankheit Nymphomanie leidet…
Kit zerknüllte den Brief und warf ihn auf den Schreibtisch. Sie hatte keine Ahnung, was Nymphomanie war, aber es hörte sich ganz schrecklich an. »Dieser Brief ist komplett gelogen. So etwas dürfen Sie nicht glauben!«
»Ich wollte gegen Ende des Sommers nach New York reisen und mir selber ein Bild machen. Deshalb hatte ich dich
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