Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
wunderschön und lobte sie in den höchsten Tönen.
Sophronia blühte förmlich auf. Immerhin war sie mächtig stolz auf das, was sie in dem alten Haus geleistet hatte. Gleichzeitig ertappte sie sich dabei, dass sie genau wie früher eine Mischung aus Zuneigung und Antipathie für ihren Schützling empfand.
Sie war jahrelang die einzige Bezugsperson für Kit gewesen. Mittlerweile war das Mädchen erwachsen und hatte Freundschaften und Erfahrungen, die Sophronia nicht teilen konnte. Zudem war sie hübsch und gebildet und in einer Welt zu Hause, die der jungen Hausangestellten verschlossen blieb.
Die alten Wunden brachen wieder auf.
»Glaub ja nicht, dass du jetzt überall deine Nase reinstecken und mir Anweisungen geben kannst.«
Kit kicherte ausgelassen. »Würde mir nicht im Traum einfallen. Ich interessiere mich bloß für das Land. Die Felder. Ich kann es kaum erwarten, mir da draußen alles anzusehen.«
Sophronias Skepsis wich akuter Sorge: Der Major und Kit unter einem Dach – da war der Ärger vorprogrammiert.
Rosemary Westons früheres Schlafzimmer war in Altrosa und Moosgrün gehalten. Die Farben erinnerten Kit an
das Innere einer reifen Wassermelone, trotzdem gefiel ihr der kühle, hübsche Raum, auch wenn Cain das größere Schlafzimmer bewohnte. Dass sie sich einen Salon teilten, war zwar ärgerlich, aber zumindest konnte Kit ihn dann besser beobachten.
Wie hatte sie sich bloß von ihm küssen lassen können, fragte sie sich zerknirscht. Sicher, sie hatte ihn abgewiesen, aber leider erst nach dem Kuss. Bei Brandon Parsell hätte sie ihr Verhalten ja noch verstehen können, aber bei Baron Cain? Schande über sie.
Spontan dachte sie an Mrs. Templetons Vortrag über Evas Sündenfall. Nur eine Gestörte würde sich mit ihrem erbittertsten Gegner einlassen. Aber vielleicht tickte es bei ihr im Oberstübchen ja nicht mehr richtig!
Unfug. Sie war lediglich erschöpft gewesen von der langen Reise. Und Miss Dollys hanebüchenes Geplapper hätte jeden in den Wahnsinn getrieben.
Kurz entschlossen zog sie ihr Kleid aus und stellte sich in Unterhemd und Petticoat vor die Waschschüssel. Baden war inzwischen ihr liebstes Hobby. Unbegreiflich, dass sie es früher so verabscheut hatte. Wie dumm sie in allem gewesen war – abgesehen von ihrem Hass auf Cain.
Sie fluchte leise, eine Angewohnheit, die selbst Elsbeth ihr nicht hatte austreiben können. Bevor Cain aus dem Salon gestürmt war, hatte er sie für die Zeit nach dem Abendessen in die Bibliothek zitiert. Sie war keineswegs versessen auf diese Unterredung. Andererseits musste er endlich begreifen, dass er es nicht mehr mit einer unreifen Achtzehnjährigen zu tun hatte.
Lucy hatte die Koffer ausgepackt. Für einen kurzen Moment erwog Kit, eines ihrer ältesten Kleider anzuziehen und es sich im Haus bequem zu machen. Aber nein, das war heute nicht drin und musste auf den morgigen Tag verschoben werden.
Also entschied sie sich für ein weißes Kleid mit blauem Streublümchenmuster. Der leicht geraffte Überstoff wogte über einem vergissmeinnichtblauen Unterrock. Keine Frage, dieser verfluchte Cain hatte nicht geknausert, als Kit sich eine neue Garderobe hatte zulegen müssen. Mit dankenswerter Hilfe von Elsbeth wohlgemerkt, die den Geschmack ihrer Freundin zu ausgefallen fand und sie deshalb nicht allein hatte losziehen lassen. Ohne deren Unterstützung hätte Kit vermutlich schnell das Handtuch geworfen und sich sämtliche Ladenhüter aufschwatzen lassen.
Seufzend löste sie ihr Haar. Am Morgen hatte sie es im spanischen Stil frisiert, in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem schlichten Knoten zusammengesteckt. Ein paar Korkenzieherlöckchen, die ihr anmutig in die Schläfen fielen, unterstrichen die raffinierte Frisur – wie geschaffen für ihre erste Begegnung mit Cain. Aber jetzt hatte sie genug von der Tortur. Sie bürstete sich die Haare, bis sie knisterten, und schob sie dann mit Elsbeth’ silbernen Kämmen aus der Stirn. Die wilde Lockenpracht wellte sich über ihre Schultern. Noch ein bisschen Jasminduft auf die Handgelenke getupft – und sie war fertig.
Als sie an Miss Dollys Zimmertür klopfte, fragte sie sich insgeheim, ob ihre zierliche Begleiterin ein Abendessen mit einem Yankee-Kriegshelden überhaupt verkraften könnte. Da auch auf ihr zweites Klopfen hin niemand reagierte, trat sie unaufgefordert ein.
In einer Ecke des dunklen Zimmers saß Miss Dolly zusammengekauert in einem Schaukelstuhl. Über ihre faltigen
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