Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
schlenderte.
»Wieso?«
Gedankenvoll starrte er zu den verkohlten Schornsteinen. »Weil damit die Unterschiede zwischen uns noch offensichtlicher werden.«
»Ach ja? Wir haben beide keine Heimat mehr. Sie vergessen, dass mir Risen Glory nicht gehört. Jedenfalls noch nicht.«
Er musterte sie verstohlen. Sie spielte mit einem Stück Baumrinde. »Ich habe nur einen Monat, dann schickt Cain mich zurück nach New York.«
»Mir ist die Vorstellung zuwider, dass Sie mit diesem Mann unter einem Dach wohnen.« Er setzte sich neben sie auf den Stamm. »In der Bank wird schon darüber geredet. Man munkelt, dass Miss Calhoun als Anstandsdame ungeeignet sei. Geben Sie auf sich Acht bei Cain, hören Sie? Er ist kein Gentleman. Ich mag ihn nicht. Ehrlich gesagt, kann ich ihn auf den Tod nicht leiden.«
Brandons Bedenken waren einfach rührend. »Keine Sorge. Ich pass auf mich auf.«
Wie zufällig brachte sie ihr Gesicht nah an seins und öffnete verführerisch die Lippen. Dieser Ausritt durfte nicht ergebnislos enden! Brandon könnte sie wenigstens einmal küssen. Vielleicht vergaß sie dann Cains stürmischen Überfall auf ihren Mund.
Und auf deine Sinne, flüsterte eine kleine Stimme in ihrem Kopf.
Wie wahr. Cains Kuss hatte sie auf sonderbare Weise berauscht, und sie wollte einfach wissen, wie es mit Brandon Parsell wäre.
Obwohl seine Augen von der grauledernen Reitkappe überschattet wurden, merkte sie, dass er ihren Mund betrachtete. Sie wartete darauf, dass er sich zu ihr hinunterbeugte, aber Fehlanzeige. »Ich möchte, dass Sie mich küssen«, sagte sie schließlich.
Schockiert über ihre Direktheit, runzelte er die Stirn. Sein Verhalten ärgerte sie, auch wenn sie es irgendwie süß fand.
Behutsam nahm sie ihm die Kappe ab und legte sie beiseite. Über seine Stirn zog sich eine dünne, rote Linie von dem Hutband. »Brandon«, sagte sie leise. »Ich habe nur
einen Monat. Da bleibt mir keine Zeit für Zurückhaltung.«
Selbst ein Gentleman vermochte eine solch verlockende Einladung nicht abzulehnen. Er beugte sich vor und presste seinen Mund auf ihren.
Seine Lippen waren fleischiger als Cains. Und weicher, entschied sie, da sie sittsam geschlossen blieben. Im Vergleich zu Cains war dies ein sanfter Kuss. Nicht unangenehm. Sein Schnurrbart war allerdings ein bisschen kratzig.
Angestrengt konzentrierte sie sich auf ihr Vorhaben. Sie hob die Arme und schlang sie impulsiv um seinen Hals.
Waren seine Schultern nicht ein bisschen schmal? Ach, das bildete sie sich bloß ein! Er fing an, federnde Küsse auf ihre Wange und ihre Schläfe zu hauchen. Sein Bart schabte über ihre empfindliche Gesichtshaut, und ihr entwich ein gequälter Seufzer.
Er entwand sich ihr. »Verzeihung. Bin ich etwa zu weit gegangen?«
»Aber nein.« Sie ließ sich die Enttäuschung nicht anmerken. Sein Kuss hatte sie keinen Deut schlauer gemacht. Warum verdrängte er seine Skrupel nicht einfach und küsste sie so wie Cain?
Nein, ermahnte sie sich abrupt. Brandon Parsell war ein Gentleman und kein Yankee-Rabauke.
Er senkte betreten den Kopf. »Kit, Sie müssen mir glauben, ich würde Ihnen niemals wehtun. Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin. Frauen wie Sie müssen vor den Widrigkeiten des Lebens behütet und beschützt werden.«
Allmählich wurde sie ungehalten. »Ich bin doch nicht zerbrechlich.«
»Ich weiß. Trotzdem sollen Sie wissen, dass, wenn… wenn irgendetwas Dauerhaftes zwischen uns zustande
käme… Nun ja, ich würde Sie niemals bedrängen. Ich würde Sie mit meinen eigenen Bedürfnissen so wenig wie möglich belästigen.«
Unvermittelt dämmerte es Kit. Als Mrs. Templeton von Evas Sündenfall gesprochen hatte, hatte sie erwähnt, dass es rücksichtsvolle und weniger rücksichtsvolle Ehemänner gebe. Und dass sie den Mädchen Erstere wünschte.
Plötzlich war sie froh, dass Brandons sanfte Küsse kein glutheißes Feuer in ihr entflammt hatten. Ihre heftige Reaktion auf Cains Kuss ließ sich gewiss darauf zurückführen, dass sie sich unbändig über ihre Rückkehr nach Risen Glory gefreut hatte.
Brandon war bestimmt der Richtige für sie. Einen besseren Ehemann konnte sich eine Frau kaum wünschen.
Er setzte ihr behutsam die Reitkappe auf, damit sie keinen Sonnenbrand bekam, und schalt sie augenzwinkernd, dass sie ihre Handschuhe vergessen habe. Während er sich fürsorglich um sie bemühte, lächelte sie bezaubernd und spielte die vollendete Südstaaten-Schönheit.
Zweifellos war er Frauen gewöhnt, die
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