Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
war mit funkelnden Kristallperlen bestickt, die sich bis zum Saum fortsetzten.
Der weite Ausschnitt betonte ihre makellosen Schultern. Als Kit an sich hinuntersah, bemerkte sie ihr rosig überhauchtes Dekolleté und dachte spontan an Cains zärtliche Hände. Hastig schaute sie weg und griff nach dem passenden Halsschmuck, einem Collier aus Kristalltropfen. Auf ihrer Haut glitzerte es wie geschmolzener Schnee.
Die Luft um sie herum knisterte wie elektrisiert. Sie schlüpfte in die Seidenschuhe mit den nadelspitzen Absätzen, die sie auch auf dem Abschlussball in Templeton getragen hatte. Sie waren zwar eierschalenfarbig und nicht hartweiß, aber das kümmerte sie nicht weiter.
»Reg dich nicht auf, Sophronia. Ich mach das schon.« Sie hauchte der Haushältern einen flüchtigen Kuss auf die Wange und glitt über die Stufen nach unten – eine ungekrönte Schneekönigin.
Veronica Gamble ließ sich nichts anmerken, als Kit in den Salon schwebte. Aha, das Kätzchen fuhr die Krallen aus. Sie hatte auch nichts anderes erwartet.
Das Kleid war ein Traum, aber dem Anlass völlig unangemessen. Seine kühle Sinnlichkeit unterstrich Kits mädchenhafte Schönheit. Mr. Parsell, der sich unverfroren eine Essenseinladung erkämpft hatte, war offensichtlich sprachlos. Baron stand kurz vor einem Tobsuchtsanfall.
Der Ärmste. Er hätte besser nicht darauf gedrängt, dass sie sich umzog.
Veronica fragte sich, was oben in dem Zimmer vorgefallen sein mochte. Kits Wangen waren rosig, und Veronicas scharfer Blick entdeckte eine verdächtig rote Stelle an ihrem Hals. Verführt hatte er das Mädchen jedenfalls nicht. Irgendwie erinnerte er sie an einen gereizten, sprungbereiten Panter.
Während des Dinners saß Mrs. Gamble zu seiner Rechten, Kit auf der anderen Seite der Tafel neben Brandon. Das Essen war köstlich: duftender Reis, überbackene Austern in einer Gurken-Curry-Sauce, Erbsen mit Minze, frisches Brot und zum Dessert eine saftige Kirschpastete. Vermutlich war sie die Einzige, die das alles überhaupt zu würdigen wusste, überlegte Veronica insgeheim lächelnd.
Sie kümmerte sich liebevoll um Baron. Beugte sich dicht zu ihm vor und erzählte ihm amüsante Anekdoten aus ihrem Leben. Legte ihre Finger sacht auf seinen Ärmel und drückte seinen muskulösen Arm ausnehmend innig.
Er hatte nur Augen für sie. Veronica war jedoch sonnenklar,
dass er mit gespitzten Ohren die Unterhaltung auf der anderen Seite des Tisches verfolgte.
Nachher schlug Cain vor, den Brandy gemeinsam mit den Damen im Salon einzunehmen. Brandon stimmte übertrieben nickend zu. Cain fand den jungen Südstaatler sterbenslangweilig, und Brandon hatte Mühe, seine Abneigung gegen den Yankee zu verbergen.
Im Salon setzte Veronica sich kurzerhand zu Kit auf das Sofa, obwohl sie wusste, dass das Mädchen sie nicht mochte. Sie plauderten höflich über Literatur, denn Kit las gern und viel. Als Veronica sich daraufhin erbot, ihr ein skandalumwittertes neues Buch von Gustave Flaubert zu leihen, das sie gerade verschlungen habe, warf Brandon ihr einen vernichtenden Blick zu.
»Haben Sie etwas dagegen, dass Kit Madame Bovary liest, Mr. Parsell? Dann lasse ich es lieber noch eine Weile bei mir im Regal.«
Cain musterte Brandon ironisch. »Mr. Parsell ist gewiss nicht konservativ. Er würde einer intelligenten jungen Frau bestimmt nicht verbieten, ihren Geist zu erweitern. Oder, Mr. Parsell?«
»Nein, bestimmt nicht«, sagte Kit eine Spur zu hastig. »Mr. Parsell ist einer der aufgeschlossensten Männer, die ich kenne.«
Veronica schmunzelte. Ein überaus unterhaltsamer Abend, das musste man sagen.
Cain durchquerte die Halle und betrat die Bibliothek. Nachdem er im Dunkeln sein Jackett abgelegt hatte, öffnete er das Fenster. Die Gäste waren vor einer Weile aufgebrochen, Kit hatte sich unmittelbar darauf zurückgezogen. Er musste bei Sonnenaufgang aufstehen und hätte sich besser hingelegt, aber die alten Erinnerungen ließen ihn nicht zur Ruhe kommen.
Gedankenvoll spähte er in die Finsternis. Hörte das nächtliche Zirpen der Grillen und den leisen, wehmütigen Schrei eines Waldkauzes.
Sein Vater, Nathaniel Cain, war der einzige Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns gewesen. Er hatte in Philadelphia gelebt, in dem repräsentativen Haus, in dem er auch geboren worden war, und das Geschäft weitergeführt. Mit fast fünfunddreißig hatte er die erst sechzehnjährige Rosemary Simpson geheiratet. Obschon noch viel zu jung für die Ehe, waren deren Eltern
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