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Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)

Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Elizabeth Phillips
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Stufen hinauf, einen Arm fürsorglich um ihre Schultern gelegt, als wäre sie zerbrechlich.
    Kit fühlte die bohrenden Blicke der Kirchgänger im Rücken und überlegte, ob sie im Geiste etwa schon den Geburtstermin ausrechneten. Sollten sie doch ruhig, sinnierte sie. Sie würden bald merken, dass sie auf dem Holzweg waren.
    Und dann kam ihr ein entsetzlicher Gedanke.
     
    Solange sie denken konnte, hatte die weise Frau in einem schäbigen Verschlag auf den ehemaligen Ländereien der Parsells gehaust. Manche munkelten, der alte Godfrey Parsell, Brandons Großvater, habe sie auf einem Sklavenmarkt in New Orleans gekauft. Andere wiederum meinten, sie habe indianisches Blut in den Adern. Keiner wusste, wie alt sie war und wie ihr richtiger Name lautete.
    Weiße wie Schwarze suchten sie mit ihren kleinen Sorgen auf. Sie konnte Warzen besprechen, die Zukunft weissagen, Liebestränke brauen und das Geschlecht ungeborener Kinder bestimmen. Und sie war die Einzige, die Kit mit ihrem Problem helfen konnte.
    »Guten Tag, weise Frau. Ich bin Kit Weston – besser gesagt Katharine Louise Cain – Garrett Westons Tochter. Erinnern Sie sich noch an mich?«
    Die Tür wurde knarrend einen Spaltbreit geöffnet. Dahinter kam ein faltenzerfurchtes Gesicht zum Vorschein. »Du bist Garrett Westons Tochter? Groß bist du geworden.« Die grauhaarige Frau stieß ein dumpfes, knarzendes Gackern aus. »Dein Daddy schmort jetzt bestimmt in der Hölle.«
    »Da haben Sie vermutlich Recht. Darf ich reinkommen?«
    Die Alte trat von der Tür weg, und Kit schlüpfte in den winzigen Raum, der mit allem Möglichen vollgestellt, aber trotzdem blitzsauber war. Knoblauchzöpfe und getrocknete Kräutersträußchen hingen von der Decke, wuchtige Möbel verstopften den Raum, ein altes Spinnrad stand unter dem einzigen Fenster. Eine Wand war mit grob gezimmerten Holzregalen gesäumt, auf denen unterschiedlich große Tiegel und Töpfe standen.
    Die Heilerin rührte soeben in dem duftenden Inhalt eines Kessels, der an einem Eisenhaken über dem Feuer hing. Dann ließ sie sich auf einen Schemel neben dem Kamin sinken. Als wäre sie allein, fing sie an, wie in Trance hin- und herzuschaukeln und mit dumpfer Stimme zu singen.
    »Es gibt einen Balsam in Gilead …«
    Kit setzte sich neben sie auf den wackligen Stuhl mit dem durchgesessenen Polster und lauschte. Seit dem morgendlichen Kirchgang hatte sie sich das Hirn zermartert, was wohl wäre, wenn sie ein Baby bekäme. Das würde sie zeitlebens von Cain abhängig machen. Undenkbar für Kit! Also musste irgendein Wunder her, um das Problem aus der Welt zu schaffen.
    Gleich nach der Predigt war Cain wieder einmal verschwunden, doch Kit konnte erst am Spätnachmittag weg, nachdem Miss Dolly sich mit der Bibel in ihr Zimmer zurückgezogen hatte.
    Die weise Frau hörte schließlich auf zu singen. »Kind, vertrau auf Jesus, dann fühlst du dich im Nu besser.«
    »Ich glaube, bei diesem Problem hilft Jesus mir auch nicht weiter.«
    Die Alte blickte zur Decke und giggelte. »Herr? Hörst du dieses Kind?« Ihre knochige Brust hob und senkte sich glucksend. »Sie denkt, du kannst ihr nicht helfen. Sie denkt, die alte Engelmacherin kann ihr helfen, aber dein
Sohn Jesus Christus nicht.« Sie bekam feuchte Augen vor Lachen und wischte sie sich mit ihrem Schürzenzipfel trocken. »Allmächtiger«, gackerte sie, »dieses Kind ist noch so jung.«
    Kit beugte sich vor und legte der Alten beschwörend eine Hand aufs Knie. »Ich muss völlige Gewissheit haben, weise Frau. Ich will kein Kind. Deshalb bin ich hergekommen. Ich zahle Ihnen jeden Preis, aber bitte, helfen Sie mir.«
    Die alte Frau hielt in ihrem Geschaukel inne und sah Kit zum ersten Mal seit ihrer Ankunft direkt an. »Kinder sind ein Segen Gottes.«
    »Ein Segen, auf den ich gut verzichten kann.« Die Wärme in dem kleinen Verschlag wurde schier unerträglich, und Kit sprang auf. »In meiner Kindheit habe ich öfters die Sklavinnen belauscht. Sie wussten von einem Mittel, das weitere Schwangerschaften verhindert. Obwohl es bei Strafe verboten war.«
    Die bernsteinfarbenen Augen der Greisin verengten sich zu missfälligen Schlitzen. »Die Kinder der Sklavenfrauen wären verkauft worden. Du bist eine Weiße. Du brauchst dich nicht zu sorgen, dass man dir das Neugeborene aus den Armen reißt und du es nie wiedersiehst.«
    »Das weiß ich. Aber ich will kein Baby. Wenigstens jetzt noch nicht.«
    Wieder fing die Alte an, sich rhythmisch zu wiegen und dabei zu singen.

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