Mitternachtsspuren - Mignani, L: Mitternachtsspuren
Morven hatte Rotz und Wasser geheult.
Kurz vorher hatte sie sich von Brian getrennt und die Ereignisse überschlugen sich, sodass sie kaum Schritt halten konnte.
„Komm Tumble, wir fahren zu Betty. Ich bringe ihr ein paar Lebensmittel vorbei. Vielleicht geht es ihr besser.“
Ihre Freundin bot die einzige Konstante in ihrem Leben. Sie kannte sie seit der Elementary School.
Kapitel 4
Kendrick stupste seine Nase in Morvens Nacken und atmete ihren Duft ein. Sie roch wie ein warmer Frühlingstag, nach Erdbeeren und Sonne. Seufzend legte er sich auf die Rücksitzbank des blauen Minis. Die schottische Flagge, das Saltire, bekannt als Saint Andrews Cross, zierte die Rückseiten der Außenspiegel.
Der Legende nach hatte man den Märtyrer Saint Andrews an ein X-förmiges Kreuz genagelt. Er erinnerte sich an ein Gespräch mit Lior, der ihn mit ernster Mimik bedacht hatte.
„Das entspringt keiner Legende. Wir kamen zu spät, um ihn zu retten.“
Lior lebte bereits ewig, Nosferat noch länger. Ihr Oberster glich einer muskulösen Ausgabe von Christopher Lee. Es würde ihn nicht verwundern, wenn er den Regisseur zu den Filmen inspiriert und auch Bram Stoker persönlich gekannt hatte.
Neben ihm auf dem Rücksitz saß ein Stofftier eines schottischen Hochlandrindes. Kendrick unterdrückte den Reiz, es zu zerfetzen.
Mr. Sheep hatte er vorhin in seine Einzelteile zerlegt. Am meisten Freude hatte es ihm bereitet, den Kopf abzubeißen und die Augen aus den Höhlen zu reißen. Ihm war bewusst, dass es ihn in den Händen juckte, das Gleiche mit Brian zu tun.
Betty wohnte nicht einsam gelegen. Ihr Haus befand sich auf der Valley View, einer typischen Straße für Kirkcaldy, die von Reihenhäusern gesäumt war.
Das verträumte Cottage passte viel besser zu Morven. Die Glyphen überraschten ihn nicht, denn Una wusste, was sie tat, als sie den Schutz angebracht hatte. Nur vor dem Gift hatten sie Una nicht beschützt. Die Lugus rätselten, wie es gelungen sein mochte, es ihr zu verabreichen. Der Täter musste über unglaubliche Kraft verfügen.
Una zählte nicht zu Morvens Blutsverwandtschaft und war eine Hüterin des Wissens gewesen, eine Wächterin. Üblicherweise erfuhren sie von ihren Schützlingen vor der Geburt, die Bindung war intensiver als eine Mutter-Tochter-Bindung. Sie hätte Morven beschützt und umsorgt und die Kenntnisse allmählich an sie weitergereicht, sie aufgezogen wie eine Tochter. Die Armanachkräfte wären langsam gewachsen. Bei Säuglingen war das Ritual leicht, bei Erwachsenen funktionierte die sanfte Methode nicht. Stattdessen war Morven in Einsamkeit aufgewachsen. Er registrierte die Empfindung in ihr und etwas anderes, tief vergraben, so verborgen, dass er es nicht einzuschätzen vermochte. Sie vertraute ausschließlich sich selbst. Brian und Betty stellten in dieser Hinsicht die einzigen Ausnahmen in ihrem Leben dar. Sie bereute es bitterlich, dass sie Brian kennengelernt hatte. Der nächste Kerl, der ihr Vertrauen gewinnen wollte, würde vor einer gewaltigen Aufgabe stehen.
Bildeten die Angelus mit einer unbekannten Kraft eine Allianz? Ihre Handlungen entbehrten jeder Grundlage, es sah ihnen nicht ähnlich, eine Wächterin aus dem Weg zu räumen, was seinen Verdacht bekräftigte.
Morvens Blut lockte die Engelskreaturen unwiderstehlich an. Die Engel von heute Morgen waren Kundschafter. Die Witterung ihrer Verletzung hatte ihnen die Beherrschung geraubt. Die Kreatur, die gegen die Tür gerannt war, würde die Verbrennungen noch tagelang fühlen. Diese Art von Verwundung verheilte nicht sofort, wie es normalerweise der Fall war.
Ein verdammt knappes Unterfangen. Beinahe hätte Kendrick den Plan zerstört, indem er seine wahre Form angenommen hatte. Sie wollten die Engel der Finsternis aus der Reserve locken, den Beweis erbringen, dass sie für die Morde verantwortlich waren. Oder verfolgte Nosferat andere Ziele? Langsam bekräftigte sich das ungute Gefühl.
Sie würden nicht umhinkommen, dass ein Angelus Morven biss. Der Speichel der Kreatur würde ihr Blut verändern und zusammen mit der Todesangst ihre Energie stimulieren. Wenn sie es nicht taten, würde der Wahnsinn sie irgendwann erfassen. So oder so, sie war ihrem Schicksal ausgeliefert.
Morven stoppte seufzend vor einem Reihenhaus und benötigte drei Anläufe, bis sie es in die Parklücke schaffte.
Sie traf seinen Blick im Rückspiegel.
„Was! Bist du etwa ein Chauvi-Wauwi?“
Sie ahnte nicht, was ihm durch den Kopf ging.
Chauvinist
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