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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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sie den Schlüssel aus dem Schloss zog.
Der zweite Schlüssel passte nicht, ebenso wenig der dritte,
und plötzlich stieß Ryan die Wohnungstür zu und lehnte sich
dagegen. »Er ist gleich da«, verkündete er mit bebender
Stimme. »Mom, er kommt!« Er machte auf dem Absatz kehrt
und flog förmlich die Treppe hinauf in sein Zimmer, dicht
gefolgt von Chloe, die das Ganze für ein lustiges Spiel hielt.
Zwei Sekunden später hörte Caroline seine Tür zuklappen. Sie
zitterte dermaßen, dass sie schon fürchtete, den Schlüsselbund
fallen zu lassen, wie vorhin die Bilder, während sie mit dem
vierten Schlüssel hantierte, der schließlich passte und sich
umdrehen ließ.
Kaum war das Schloss eingeschnappt, zog Caroline den
Schlüssel heraus, warf den Bund in die Tasche und schaffte es
gerade noch, sich ein paar Schritte vom Arbeitszimmer zu
entfernen, als die Wohnungstür aufging und Tony in die Diele
trat. Oben hörte sie Chloe leise bellen.
Caroline und Tonys Blicke trafen sich, und sie hatte den
Eindruck, für den Bruchteil einer Sekunde Zorn in seinen
Augen aufflackern gesehen zu haben. Doch schon im nächsten
Moment füllten sich seine Augen mit Besorgnis, und sie war
sich nicht mehr sicher, ob sie sich nicht getäuscht hatte.
»Liebling, was hast du denn? Du siehst aus, als hättest du
einen Geist gesehen.«
Ihr Haut war noch feucht von dem kalten Schweiß, der ihr
im Arbeitszimmer ausgebrochen war. »Ich glaube, mich hat die
gleiche Erkältung erwischt wie Laurie«, sagte sie. »Deshalb bin
ich auch früher heimgekommen.«
»Dann sieh mal zu, dass du ins Bett kommst«, sagte Tony
mitfühlend. »Ich wusste doch, dass du heute nicht zur Arbeit
hättest gehen sollen. Und allmählich überlege ich, ob du diesen
Job nicht überhaupt ganz aufgeben solltest.« Er geleitete sie
schon die Treppe hinauf. »Ich mache dir jetzt eine schöne
Tasse Tee mit Honig und Zitrone und dann rufe ich Dr.
Humphries an.«
Unsicher, wie sie reagieren sollte, ließ sich Caroline von
Tony in ihr gemeinsames Schlafzimmer bringen und zog ihr
Nachthemd an. Es war wohl besser, ihn glauben zu lassen, dass
sie krank sei, als ihm zu erklären, warum sie früher von der
Arbeit heimgekommen war.
Dann, während sie ins Bett kroch, kam ihr ein anderer
Gedanke: Als Tony heute Morgen die Wohnung verlassen
hatte, musste er geglaubt haben, dass Melanie Shackleforth auf
Ryan aufpassen würde. Doch jetzt beim Nachhausekommen
war er kein bisschen überrascht gewesen, statt Melanie sie
selbst anzutreffen.
Demnach musste er von der Änderung gewusst haben.
Und war nach Hause gekommen.
Aber warum? Um sich zu vergewissern, dass alles in
Ordnung war?
Oder um herauszufinden, was sie trieb?

29. Kapitel
    Frank Oberholzer biss achtlos in sein Pastrami-Sandwich,
kümmerte sich nicht um den Klecks Senf an seinem Kinn und
lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um während des Kauens
gedankenverloren an die Decke zu starren. Was auf seinem
Schreibtisch für einen Außenstehenden wie ein heilloses Chaos
wirken musste, waren die ersten Ergebnisse im Mordfall
Andrea Costanza: Aufnahmen vom Tatort, Untersuchungsberichte des Gerichtsmediziners und des forensischen Labors,
Aufstellungen aller in Andreas Wohnung gefundener Gegenstände und natürlich die Dinge, die Oberholzer persönlich aus
ihrer Wohnung mitgenommen hatte: Costanzas Tagesplaner,
ihr Adressbuch und der Laptop.
    Die pathologische Untersuchung setzte die Tatzeit zwischen
Freitagabend sechs Uhr und Samstagmittag zwölf Uhr an, was
wissenschaftlich sicher korrekt, für Oberholzer jedoch Unsinn
war. Angesichts des Tathergangs war es seiner Ansicht nach
viel wahrscheinlicher, dass die Frau zwischen neun Uhr abends
und zwei Uhr morgens ermordet worden war. Die Stunden
zuvor schloss er aus, weil es da noch nicht dunkel war. Wenn
der Mörder auch nur halbwegs klar im Kopf war – was die
meisten Oberholzers Erfahrung nach tatsächlich waren –, hatte
er gewiss gewartet, bis etwaige Neugierige aus den gegenüberliegenden Häusern nur dann etwas in Costanzas Apartment
sehen konnten, wenn sie bei sich alle Lichter ausmachten und
die Vorhänge aufzögen. Keine hundertprozentige Garantie
freilich, nicht gesehen zu werden, doch immer noch sicherer,
als am helllichten Tag auf Feuerleitern herumzuturnen. Er hatte
sich vielleicht auch überlegt, dass Costanza um zwei Uhr
morgens bestimmt schon im Bett gelegen und nicht als leichtes
Ziel auf dem Sofa gesessen hätte. Am

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