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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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wahrscheinlichsten
erschien es ihm, dass die Tat zwischen neun und zehn Uhr
stattgefunden hatte, da der einzige vernünftige Zugang zur
Feuerleiter über das Dach führte, zumal die Leiter, die vom
zweiten Stockwerk nach unten auf die Straße führte, weder
bewegt noch betreten worden war, und der einzige Zugang zum
Dach durch das Gebäude führte. Nachdem am Samstagabend
im vierten Stock eine große Party stattgefunden hatte, war es
für den Mörder sicherlich ein Leichtes gewesen, bei
verschiedenen Leuten zu klingeln und abzuwarten, dass
irgendjemand auf den Türöffner drückte. Zumal der Gastgeber
der Party bereits erklärt hatte, zwischen acht und neun Uhr
abends mindestens einem Dutzend Leuten aufgemacht zu
haben, ohne genau zu wissen, wer sie waren. Oberholzer hielt
es daher für wahrscheinlich, dass einer von ihnen statt auf die
Party hinauf aufs Dach gegangen war.
    Nun hatte er noch mindestens ein Dutzend Leute zu
befragen, ob sie jemanden im Haus gesehen hätten, der nicht
auf dieser Party gewesen war. Die Erfolgschancen lagen seiner
Schätzung nach bei eins zu zehn, doch er wusste, dass er sich
diese Mühe machen musste.
    Kurz vor Mittag hatte er Costanzas Büro einen Besuch
abgestattet und jeden befragt, der dort arbeitete. Die einzige
Person, die etwas mit der Sache zu tun haben könnte, so seine
erste Vermutung, war Andreas Schreibtischnachbar, doch je
länger er sich mit ihm unterhielt – der Mann hieß Rosenberg –,
desto weniger überzeugt war er. Der Typ hatte Costanza
gemocht, aber Oberholzer konnte keinerlei Anhaltspunkte
dafür finden, dass ihre Beziehung über die übliche KollegenFreundschaft hinausgegangen war. Ab und an ein gemeinsames
Abendessen, aber das war’s auch schon.
    »Was ist mit diesem Humphries?«, hatte der Detective
Rosenberg im Laufe des Gesprächs gefragt. »Irgendeine
Ahnung, worum es bei diesem Termin ging?«
Rosenberg hatte eifrig genickt. »Sie hat ihn wegen einem
ihrer Pfleglinge aufgesucht – ein kleines Mädchen, das jetzt im
    Rockwell lebt.«
»Pflegeeltern im Rockwell? Manche Kids haben wirklich
Glück, hm?«
Zu Oberholzers Überraschung hatte Rosenberg den Kopf
geschüttelt: »Andrea hat sich große Sorgen um das Mädchen
gemacht und wollte sich einmal mit ihrem Arzt unterhalten, der
zufällig auch im Rockwell wohnt. Und dieser Herr war nicht
sehr zugänglich gewesen.« Während Frank Oberholzer
schweigend zuhörte und sich ein paar Notizen machte, wiederholte Rosenberg das Gespräch, das er mit Dr. Humphries am
Montagvormittag geführt hatte.
»Und, was denken Sie?«, fragte der Detective Rosenberg, als
dieser zum Ende gekommen war. »Hat er sich angehört, als
wäre er empört darüber, dass Costanza Einsicht in die
Krankengeschichte des Mädchens nehmen wollte?«
»Nicht direkt«, meinte Rosenberg. »Es klang eher so, als
wollte er sichergehen, dass alles seine Ordnung habe, ehe er
jemandem Einsicht in eine Patientenakte gewährte. Und er hat
Recht damit – man könnte ihn verklagen, wenn er das ohne
Beschluss täte.« Er hielt inne, und Oberholzer wusste sofort,
dass da noch etwas anderes war.
»Und, was noch?«, drängte er.
»Das ist wahrscheinlich nicht wichtig«, antwortete
Rosenberg zögernd. »Aber Andrea mochte diesen Humphries
nicht.«
Wieder hielt er inne, und wieder musste Oberholzer
nachhelfen, diesmal nicht mehr so höflich: »Wollen Sie es mir
erzählen, oder muss ich raten?«
Rosenberg hob abwehrend die Hände hoch. »So viel gibt es
da nicht zu berichten – Andrea hielt einfach nicht viel von
manchen seiner Methoden. Er ist nämlich Osteopath und
Homöopath, und Andrea kann –« Er stutzte und berichtigte
sich: »Andrea konnte damit nicht viel anfangen. Sie hielt, wie
gesagt, nicht viel von alternativer Medizin.«
Oberholzer kratzte sich mit dem Bleistift hinterm Ohr.
»Meinen Sie, sie hat ihm das gesagt?«
»Schwer zu sagen«, meinte Rosenberg unbestimmt. »Wenn
ja, so hat Humphries es jedenfalls nicht erwähnt. Ihm ging es
nur darum, dass Andrea die richtige Verfügung beibringt, ehe
er sie die Akte der kleinen Mayhew einsehen ließe.«
Auf dem Rückweg ins Büro hatte er sich das PastramiSandwich gekauft und nachdem er sich nun den Rest in den
Mund gestopft hatte, kramte er in dem Durcheinander auf
seinem Schreibtisch nach Andrea Costanzas Adressbuch. Die
Erfahrung vieler Jahre hatte ihn gelehrt, die jüngsten Einträge
zuerst anzuwählen – alte Freunde brachten sich nur selten
gegenseitig um, neuere

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