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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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dem
Caroline Evans und ihre Kinder lebten. Den Kopf in den
Nacken gelegt, betrachtete sie ein letztes Mal die dunklen
Fenster.
    Anscheinend zufrieden, verschmolz die Gestalt einen
Moment später so vollständig mit der Dunkelheit, als wäre sie
überhaupt nie da gewesen.

6. Kapitel
    Am Montagmorgen erwachte Anthony Fleming beinahe
genauso niedergeschlagen wie Caroline tags zuvor. Er hatte
den ganzen Sonntag in seiner Wohnung verbracht – keine gute
Idee angesichts der Größe der Wohnung und deren Leere.
    Kinder – das ist, was die Wohnung brauchte. Was er
brauchte.
Anthony liebte Kinder – deren Kraft und Vitalität. Daran
krankte auch das Leben im Rockwell dieser Tage; es lebten
einfach nicht genug Kinder in dem Haus. Genau genommen
nur noch ein einziges. Rebecca Mayhew, die Ziehtochter von
Max und Alicia Albion. Sie war zwar ein süßes Ding, aber
eben etwas ganz anderes als eine bunt gemischte Rasselbande,
die von Wohnung zu Wohnung rannte, Rodney zur Verzweiflung trieb, andererseits aber auch Leben in dieses alte
Gemäuer brachte. So war es damals gewesen, als Lenore und
die Kinder noch da waren. Da war es nicht nur in ihrer eigenen
Wohnung, sondern im ganzen Haus rund gegangen, wenn die
Zwillinge mit den anderen Kindern Versteckspiele organisierten, die sich natürlich nie auf eine einzelne Wohnung
beschränkten, sondern in den diversen Stockwerken ausgetragen wurden und manchmal sogar oben im Speicher.
Einmal war ein kleines Mädchen auf die Idee gekommen,
sich im Keller zu verstecken, doch zum Glück hatte Rodney
die Kleine noch rechtzeitig bemerkt und sie von dem Irrgarten
aus Heizungsrohren und alten elektrischen Stromleitungen fern
gehalten, die den Keller für jeden, der dort unten zu tun hatte,
zu einem Abenteuer machten.
Aber diese Zeiten waren unweigerlich vorübergegangen, die
Kinderschar schrumpfte, bis nur noch Rebecca übrig geblieben
war. Anthony erinnerte sich noch gut an den Tag, als Max und
Alicia sie mit nach Hause gebracht hatten. Ihre braunen Augen
waren beinahe so groß wie die des Kindes auf dem
schrecklichen Gemälde in Virginia Estherbrooks Wohnung. Es
hing freilich nicht über dem Kamin; diesen Ehrenplatz nahm
ein Porträt von Virginia selbst ein, im Kostüm der Kleopatra.
Das Gemälde mit dem Kind hingegen war so an einer Wand
platziert, dass dessen riesige Augen Virginias Porträt zu
fixieren schienen. Virginia meinte, das Kind spräche zu ihr.
Angesichts dieser grotesk großen Augen und der einzelnen
Träne, die ihm über die linke Wange lief, fragte sich Anthony,
was dieses offenbar geschlechtslose Kind wohl zu sagen hatte,
vermied es jedoch tunlichst, Virginias Zorn auf sich zu ziehen,
indem er sie danach fragte. Als Max und Alicia dann eines
Tages Rebecca heruntergebracht hatten, um sie ihm und seiner
Familie vorzustellen, war ihm als Erstes dieses seltsame Bild
durch den Kopf geschossen. Rebecca hatte sich Lenore und den
Zwillingen gegenüber scheu verhalten und sich an Alicias
Hand geklammert wie an einen Rettungsanker. Doch dann
hatte Samantha, die ungefähr Rebeccas Größe hatte, tatsächlich
aber zwei Jahre älter war, das jüngere Mädchen in diese
Flüster- und Kicherarien verwickelt, die Lenore im Gegensatz
zu ihm immer bestens verstanden hatte. Binnen kurzem waren
sie die besten Freundinnen geworden, und von da an hatte
Rebecca beinahe ebenso viel Zeit in Anthonys Wohnung
verbracht wie in der der Albions, und ihre Augen hatten immer
gestrahlt.
Doch dann, als Samantha und die Jungs gegangen waren,
und Lenore –
Er verwarf den Gedanken, drängte ihn mit beinahe
physischer Kraft weg, verbannte ihn in die hinterste Ecke
seines Bewusstseins, wo so viel Vergangenes ruhte, verborgen
in den dunkelsten Winkeln seiner Erinnerung.
Lieber an Rebecca denken, obwohl sie mit jedem Tag wieder
mehr diesem einsamen Waisenkind glich, das sich einst an
Alicias Hand geklammert hatte, zumal ihre Augen immer
größer und ein bisschen leerer wurden.
Es war Rebecca gewesen, der am Samstag Anthonys erster
Gedanke gegolten hatte, als er das Mädchen im Park gesehen
hatte, das neben seiner Mutter saß und ihrem Bruder beim
Baseballspielen zuschaute. Eine ideale Spielgefährtin für
Rebecca. Ein Jahr jünger vielleicht, aber altersmäßig passender
für Rebecca als es Samantha gewesen war.
Und die Frau –
Anthony verscheuchte den Gedanken. Es war zu früh, um
über das wieder nachzudenken. Und dennoch hatte etwas tief in
seinem

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