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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Enttäuschung in Andreas Gesicht
bemerkte.
»Himmel noch mal, Andrea, ich glaube, du wärst glücklicher, wenn ich dir erzählt hätte, dass deine beste Freundin
einen Massenmörder geehelicht hat.«
Jetzt lachte Andrea. »Bin ich so schlimm?«
»Ach wo«, erwiderte Nate. »Aber ich muss dir sagen, dass
du in diesem Fall anscheinend nach Problemen suchst, wo es
keine gibt.«
»Vielleicht«, seufzte Andrea. Doch sie wusste, dass sie nicht
glaubte, was sie eben gesagt hatte.

11. Kapitel
    Auf das leise Klopfen hin öffnete sich Rebeccas Zimmertür
gerade so weit, dass sie Alicia Albions Augen hereinspähen
sah.
»Mir geht es gut, Tante Alicia. Ich bin auf.«
    Alicia schob mit ihrer Schulter die Tür weiter auf und kam
mit einem Tablett, das sie in beiden Händen hielt, rückwärts
herein. Von ihrem Sessel am Fenster aus konnte Rebecca den
Duft der frischen Zimtrollen riechen, und als Alicia sich
umdrehte, sah sie den Dampf aus der Tülle der silbernen
Teekanne aufsteigen, die Alicia immer benutzte – und die
fallen zu lassen Rebecca immer Angst hatte. Bis jetzt war ihr
das noch nicht passiert, aber jeder konnte sehen, wie wertvoll
sie war.
    »Das ist nur eine alte Teekanne«, hatte Alicia sie beim ersten
Mal beruhigt, als sie die Kanne in Rebeccas Zimmer gebracht,
und diese sich geweigert hatte, sie anzufassen. »Nachdem die
Kanne schon so lange überlebt hat, wird sie auch nicht
kaputtgehen, wenn du sie fallen lässt. Sie wurde zum Gebrauch
gemacht, nicht um bewundert zu werden.«
    Rebecca hatte die hübsche Kanne vorsichtig hochgehoben
und hielt den Henkel so fest umklammert, dass ihre Knöchel
weiß hervortraten, während sie mit den Fingern der anderen
Hand den Deckel festhielt, wie Alicia es immer tat.
    »Miss Delamond hat die Zimtrollen gebacken«, erklärte
Alicia und stellte das Tablett auf dem kleinen Tisch neben
Rebeccas Sessel ab. »Sehen sie nicht lecker aus?«
    »Ist sie noch hier?«, erkundigte sich Rebecca, während sie
das Gebäck unsicher beäugte. Obwohl Miss Delamonds
Zimtrollen immer köstlich dufteten, hatten sie doch einen
komischen Beigeschmack – bitter beinahe –, von dem Rebecca
jedes Mal übel wurde. Aber da sie fand, dass es immer noch
besser war, wenn ihr ein wenig schlecht wurde, als Miss
Delamond zu beleidigen, biss sie ein Stück von dem noch
warmen Gebäck ab.
    Alicia schüttelte den Kopf. »Nein. Ihrer Schwester geht es
heute Morgen nicht so gut. Aber sie lässt dir ausrichten, dass es
noch mehr von den Zimtrollen gibt.« Alicia setzte sich an die
andere Seite des Tischs auf einen hochlehnigen Stuhl, schenkte
Rebecca Tee ein und musterte sie dann kritisch. »Mir scheint,
dass du heute Morgen wohler aussiehst«, erklärte sie. »Hast du
die Medizin genommen, die Dr. Humphries gestern für dich
dagelassen hat?«
    Rebecca nickte. »Ich fühle mich auch viel besser. Morgen
kann ich bestimmt in den Park gehen.«
»Wäre das nicht herrlich?« Alicia blickte aus dem Fenster.
Die Bäume auf der Straßenseite gegenüber begannen unter der
Augusthitze allmählich die Blätter hängen zu lassen, und die
Menschen im Park schlichen wie in Zeitlupe dahin. In
Rebeccas Zimmer war es noch verhältnismäßig kühl, und als
Alicia die etwas zerfledderte Ausgabe von Anne of Green
Gables zur Hand nahm, die sie und Rebecca seit zwei Wochen
lasen, war sie beinahe froh, dass die Kleine noch nicht fit
genug war, um hinauszugehen. »So, wo waren wir?«, fragte sie
und schlug das Buch auf. »Ah, ich hab’s. Kapitel siebenunddreißig: Der Schnitter Tod. ›Matthew, Matthew, was ist
denn los? Matthew, bist du krank‹?« Rebecca unterbrach sie,
ehe sie weiterlesen konnte.
»Nicht«, sagte das kleines Mädchen. »Ich mag dieses Kapitel
nicht.«
Alicia machte ein verwundertes Gesicht. »Aber du weißt
doch gar nicht, was passiert.«
»Doch. Matthew stirbt«, erwiderte Rebecca. »Ich habe
gestern Abend im Bett noch ein bisschen gelesen. Die
Geschichte macht mich traurig – ich musste immer denken,
dass Matthew Onkel Max war, und dann kamen mir die
Tränen.«
Alicia legte das Buch beiseite. »Aber das ist doch nur eine
Geschichte, Rebecca.«
»Ich weiß. Aber es ist so schrecklich, dass Menschen sterben
müssen. Wenn du oder Onkel Max –« Ihre Stimme versagte,
und ihre Augen bekamen einen feuchten Schimmer.
»Mach dir keine Gedanken«, beruhigte Alicia sie. »Wir
werden nicht sterben. Weder Onkel Max, noch ich oder sonst
jemand, den du gern hast.«

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