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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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irgendwo alles
zusammenbricht, wenn ein Mitarbeiter sich mal einen oder
zwei Tage frei nimmt.« Damit reichte er Caroline das Kärtchen
mit den vier Tabletten. »Die Entscheidung liegt selbstverständlich bei Ihnen, aber bei Schlafproblemen helfen diese Tabletten
vorzüglich. Sie werden Ihnen nicht schaden. Das kann ich
Ihnen versichern.«
Zehn Minuten später, als sie sich im Badezimmerspiegel
über dem Waschbecken betrachtete, fragte sich Caroline, ob
Dr. Humphries nicht doch Recht hatte: Sie hatte mindestens
ebenso dunkle Ringe unter den Augen wie Laurie, und als ihre
Gedanken wieder zu Andrea Costanza wanderten, kamen ihr
die Tränen.
Schlafen, dachte sie. Er hat Recht – ich muss mich einmal
richtig ausschlafen und aufhören, mir über alles Sorgen zu
machen. Entschlossen drückte sie eine der Tabletten durch die
dünne Folie, zögerte kurz und steckte sie dann in den Mund.
Mit einem großen Schluck Wasser spülte sie sie hinunter.
Zurück im Schlafzimmer griff sie zum Telefon und rief im
Laden an. »Claire?«, meldete sie sich. »Hier ist Caroline. Es tut
mir Leid, aber ich kann heute nicht kommen.«
Ohne den Ansatz eines Zögerns erwiderte Claire: »Nehmen
Sie sich Zeit, so viel Sie brauchen, meine Liebe. Sie wissen
doch, wie sehr ich Sie schätze.«
Caroline legte auf, schlüpfte ins Bett und zog die Decke bis
unters Kinn hoch. Merkwürdig, überlegte sie, als die Tablette
bereits zu wirken begann. Noch vor sechs Monaten hätte sie
mich kurzerhand gefeuert. Aber nun nicht mehr. Und alles nur
wegen Tony.
Willig überließ sie sich der Wirkung der Tablette und schlief
wieder ein.
    »Wie lange geht’n das noch?«, wollte Victor Balicki wissen,
als Frank Oberholzer das Polizeisiegel an Andrea Costanzas
Tür brach.
    »So lange es eben dauert«, brummte der Detective. »Was hat
Sie das überhaupt zu interessieren? Gehört das Haus
neuerdings Ihnen?«
    Balicki schloss auf, stieß die Tür auf und trat, die Hände
abwehrend erhoben, zurück. »He, von mir aus könn’se hier
einziehen. Aber die Besitzer woll’n wissen, wann wir die Bude
ausräumen können.«
    »Sagen Sie ihnen, sie sollen mich anrufen«, gab Oberholzer
zurück. »Wir stehen im Telefonbuch.« Ehe Balicki noch etwas
sagen konnte, schob er die Tür vor seiner Nase zu und sah sich
in der Wohnung um, die bis vor ein paar Tagen Andrea
Costanzas Heim gewesen war. Abgesehen von den Fenstern,
die man nach der – vergeblichen – Untersuchung auf Fingerabdrücke geschlossen hatte, war alles noch in dem gleichen
Zustand wie gestern, als man Costanzas Leiche gefunden hatte;
nichts war seither bewegt oder weggenommen worden. Und
dennoch war in der Wohnung eine Leere zu spüren, eine
Verlassenheit, die ganz anders war als bei einer Wohnung,
deren Bewohner auf Reisen waren. Es war, als ob alle
Gegenstände in der Wohnung – die Möbelstücke, die Bilder,
der ganze Krimskrams und Nippes – irgendwie spürten, dass
die Person, für die sie einen Wert dargestellt hatten, für immer
gegangen war, und sie jetzt nur mehr Müll waren, der aus der
Wohnung geschafft werden musste, ehe ein neuer Bewohner
mit seinen eigenen Sachen einziehen konnte. Natürlich war das
lächerlich; Frank Oberholzer war keiner, der leblosen Dingen
wie Möbeln Gefühle zuschrieb. Und doch, in den über zwanzig
Jahren bei der Mordkommission war er noch nie in eine von
einem Verstorbenen allein bewohnte Wohnung gekommen,
ohne dieses besondere Gefühl der Leere zu spüren. Ein eisiger
Schauer lief ihm über den Rücken, obwohl der Raum nicht nur
sehr beengt, sondern auch überheizt war.
    Nachdem er sich auf einen der beiden Stühle an Andreas
winzigem Esstisch gesetzt hatte, las er den Bericht des
Gerichtsmediziners noch einmal durch, obwohl er die Details
aus dem Gedächtnis hätte aufsagen können. Der Mörder war
offensichtlich durchs Fenster eingedrungen und hatte ihr von
hinten den Arm um den Hals gelegt, wahrscheinlich noch ehe
sie ihn bemerkt hatte. Vorausgesetzt freilich, dass es sich bei
dem Angreifer um einen Mann handelte – was bei solchen
Delikten oft automatisch angenommen wurde, wovor
Oberholzer sich aber stets bewusst hütete. Dennoch, in diesem
Fall tendierte er zu einem Mann als Täter, und zwar aus dem
einfachen Grund, weil es viel Kraft erfordert, einem Menschen
das Genick zu brechen. Beim Lesen warf Oberholzer immer
mal wieder einen Blick auf das Sofa und das Fenster dahinter,
um sich ein Bild vom Hergang des

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