Mittland 3 - Das Erbe der Drachen - Teil 3: Dunkle Schwingen (DAS FINALE) (German Edition)
erfüllt von Sanftheit und Ruhe.
Da verstand Kendrik. Schluchzend ließ er das Tau los, sackte auf die Knie und blickte schmerzzerrissen zu ihr auf. Aber Earin lächelte nur, legte den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel hinauf.
Langsam, kaum merklich, lösten sich aus den Wolkentürmen Figuren - Bär und Habicht, Schlange und Seewolf, Lepori und Nackenhornhirsch, formten sich zu einer einzigen leuchtenden Gestalt, die ihre Arme nach ihr ausstreckte. Und Earin folgte dem Wink, hielt ihnen die Hand mit dem Kieselstein entgegen, als könnte dieser sie hinauf tragen. Und das tat er.
Wie der Spross einer Pflanze, bohrten sich die Licht durchfluteten Spitzen durch die Oberfläche des steinernen Gefängnisses, brachen sich ihren Weg hinaus, reckten sich über einen Meter in die Höhe und entfalteten sich schließlich zu zwei mächtigen Schwingen, gefolgt von einem drachenhaften Körper.
So fügt sich alles an seinen vorbestimmten Platz, dachte Earin, während sie hinauf in das Tosen getragen wurde, sich die Götter in einer mannigfaltigen Umarmung mit ihr vereinten und den Samen für ein ganz besonderes Kind in sie pflanzten.
Keiner im Dorf hatte etwas von dem Erscheinen der Tieraspekte oder dem Sturm mit bekommen. Niemand fragte nach, was für einen Götterspruch Kendrik gehört hatte und niemand schien sich dran zu stören, dass Earin blieb. Denn fortan blieb sie im Dorf, saß unablässig am Webstuhl und fertigte Stoffbahn um Stoffbahn; so fein und kunstvoll in ihrem Muster, dass es selbst einem König zur Ehre gereicht hätte, sich daraus Kleider schneidern zu lassen.
Und vielleicht hätte Kendrik tatsächlich glauben können, dass das Erlebnis am Meer nur eine weitere Traumvision gewesen war, wenn sechs Monde später nicht zu übersehen gewesen wäre, dass die Götter ihr Wort wahr gemacht hatten.
Earin trug unverkennbar ein Kind unter dem Herzen. Ein Götterkind - erkannte der Älteste und umsorgte sie mit all seiner Liebe und Fürsorge. Doch der Rest des Dorfes beäugte die wachsende Wölbung mit Argwohn. Keiner hatte das Tosen gehört, niemand die Düsternis aufziehen gesehen oder die Weisung der Geister vernommen.
» Sie trägt einen Bastard in sich«, flüsterten die Fischer sich beim Flicken der Fangnetze zu.
» Sie hat sich den Fremden am Strand hingegeben«, lästerten die Weiber.
Und die Jäger raunten: »Sie ist eine Schande für das Dorf. Schaff sie fort, Kendrik. Töte das Kind und verkauf deine Tochter als Dienerin, damit es einen anderen scheren muss und wir wieder unseren Frieden haben.«
» Wollt ihr die Götter gegen uns alle aufbringen?«, entgegnete der Älteste, in seinem Glauben erstarkt. »Macht nicht denselben Fehler, wie ich ihn begangen habe, als ich, engstirnig wie ich war, den Götterspruch nicht annehmen wollte. Earin trägt ein ganz besonderes Kind in sich, ein einzigartiges Kind, das wir und ganz Mittland brauchen.«
Doch die Menge wollte sich nicht beruhigen. Und selbst Earins Mutter ließ sich von den Gerüchten täuschen und nahm Abstand.
Von Tag zu Tag wurden die Attacken mutiger, unbarmherziger. Mit erhobenen Fäusten, Angelruten und Jagdspeeren, mit Gerbmessern, Ruderblättern und geschwungenen Kochlöffeln umlagerten sie schließlich die Hütte.
Der Älteste hockte sich vor seiner Tochter auf den Boden, senkte die Stirn gegen ihr Knie und flüsterte: »Was soll ich nur machen, meine kleine Earin? Ich habe keinen Einfluss mehr auf den Stamm. Ich habe meine Macht längst verloren.«
Doch wie so oft zuvor, lächelte seine Tochter nur, legte das Webschiffchen beiseite, strich Kendrik sanft durch das ergraute Haar und er hörte das erste Mal ihre stummen Worte in sich klingen.
So fügt sich alles an seinen vorbestimmten Platz. Pass gut auf ihn auf, denn er wird einmal die Hände über das Heil des ganzen Landes halten.
In dieser Nacht, während die Halblinge um das Haus standen und brennende Fackeln auf das blättergedeckte Dach warfen, wurde Agaldir geboren.
Niemand ahnte an diesem Tag, dass dieses Kind die Geschicke von Mittland für alle Zeiten ändern sollte.
Glut tropfte von der Decke, als Earin mit einem letzten Aufschrei ihrem Sohn das Leben schenkte. An den aus Lehm und Stroh geformten Wänden fraßen sich die Flammen hinab, griffen nach den Schränken, dem Tisch, den Schemeln und verwandelten Stoff und den geknüpften Teppich in ein Meer aus schwelender Asche.
Und das Dorf johlte.
Kendrik, der als einziger seiner Tochter in dieser Stunde
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