Mittsommersehnsucht
beschloss, einen Neurologen hinzuzuziehen. Und auch eine Computertomografie hielt er für sinnvoll.
Andrea schloss die Augen und genoss die Sonnenstrahlen auf der Haut. Wahrscheinlich war sie sogar eingeschlafen, denn sie hörte nicht das Klopfen an der Tür.
»So ist es richtig. Du liegst im Bett und bildest dir ein, an einem sonnigen Strand zu liegen.« Carina trat ans Bett und griff nach der Hand der Freundin. »Wie fühlst du dich?«
»Carina! Schön, dass du gekommen bist.« Andrea richtete sich auf. »Gut geht’s mir schon wieder. Ich glaube, der Schlock war schlimmer als die Verletzungen. Dieser Tom … warum nur hat er auf mich gelossen?«
»Du meinst Tom Rheenhus?«, hakte die Kriminalbeamtin ein. Sie registrierte, dass Andrea nicht ganz richtig sprach, wollte sie aber nicht korrigieren.
»Ja. Evelyns Galeristen. Er kam ganz aufgeregt aus dem Haus gerannt, und als er mich sah …« Andrea brach ab. Die Erinnerung an diese Minuten ließ sie leicht zittern. »Warum hat er das getan?«
Carina setzte sich auf die Bettkante. »Andrea, ich muss dir etwas sagen … Evelyn ist tot. Er hat sie erschossen. Und dich wollte er töten, weil du eine Zeugin warst. Du hast ihn erkannt, da wollte er kein Risiko eingehen.«
»Aber warum?« Kopfschüttelnd sah Andrea die Freundin an. »Er hat doch gut an ihren … ihren Bildern verdient.« Sie runzelte die Stirn, denn ihr war klargeworden, dass sie nach dem Begriff »Bilder« hatte suchen müssen. Mit zitternden Fingern griff sie sich an die Stirn, denn eine Haarsträhne störte sie. Doch sie musste vier Versuche machen, ehe es ihr gelang, die wenigen Haare zur Seite zu schieben.
»Das stimmt schon«, antwortete Carina. »Doch das große Geld hat er mit Rauschgift gemacht.« Sie erzählte von den hohlen Bilderrahmen und dem Rest von Kokain und Speed, den die Spurensicherung gefunden hatte. »Er hat kleine Tüten mit Pillen in den Rahmen versteckt und so geschmuggelt. Einiges davon haben wir sogar noch sicherstellen können.«
»Ich glaub’s ja nicht. So ein Mistkerl!« Andrea tastete nach ihrer linken Brustseite. »Es ist schon wie ein Wunder … das Mulett, das mir Kims Großmutter geschenkt hat, hat mir das Leben gerettet.«
»Ein Amulett, meinst du?«
»Ja. Es ist aus einem Walzahn gearbeitet. Sie hat es mir geschenkt und gesagt, ich müsse es unbedingt tragen …« Ihr Blick verlor sich in der Ferne des Himmels. »Schon merkwürdig, nicht wahr? Es ist fast so, als hätte sie geahnt, dass mir etwas zustößt.«
Carina nickte. »Wenn sie eine Schamanin ist, wundert es mich nicht. Immer wieder hört man davon, dass diese Leute Dinge sehen, die für uns ›normale‹ Menschen nicht zu verstehen sind. Deshalb sind sie auch innerhalb ihrer Gemeinschaft ganz besonders angesehen.«
»Sie hat mir mit ihrem Geschenk das Laben gerettet«, murmelte Andrea. »Wenn ich es nicht getragen hätte, wäre der Schloss direkt ins Herz gegangen.« Wieder sprach sie einige Worte falsch aus, und Carina nahm sich vor, über ihre Wahrnehmung mit dem Arzt zu sprechen. Sie verstand nicht allzu viel von Medizin, doch dass dies kein gutes Zeichen war, begriff sie.
»Ich kriege diesen Kerl, verlass dich drauf. Die Fahndung nach ihm läuft auf Hochtouren.« Sie stand auf und küsste Andrea auf die Wange. »Sei nicht böse, dass ich schon wieder gehe, aber ich muss noch mal ins Präsidium.«
»Danke, dass du es mir selbst gesagt hast. Evelyn … sie war so ein toller Mensch.«
»Wir werden ihren Mörder zur Rechenschaft ziehen, verlass dich drauf.« Carina ging zur Tür, doch dann fiel ihr noch etwas ein. »Sag mal, weiß Magnus eigentlich schon, was passiert ist?«
»Ich glaube nicht. Vielleicht hat ihn Birgit angerufen. Mein Handy ist nicht mehr aufgeladen, und, ehrlich gesagt, hab ich gestern noch gar nicht daran gedacht, mir ein Telefon ans Bett stellen zu lassen.«
»Das kann ich gleich veranlassen.«
»Ich weiß auch gar nicht, wo die Black Nessy sich im Moment aufhält. Und ob Magnus überlappt Empfang hat.«
Wieder ein ganz falsches Wort, stellte Carina fest. Das ist nicht normal! Sie zog ihr Telefon aus der riesigen schwarzen Umhängetasche. »Wir werden gleich feststellen, ob er Empfang hat.«
»Ach was, lass es lieber. Ich will knocht, dass er sich Sorgen macht.« Sie runzelte die Stirn, ihr war selbst aufgefallen, dass sie etwas falsch ausgesprochen hatte, doch sie konnte nicht benennen, was es gewesen war.
»Er würde es mir nicht verzeihen, wenn ich ihn nicht
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