Mittsommersehnsucht
informiere.« Carina lächelte. »Und ich will schließlich auch mit ihm noch eine Weile befreundet sein.«
Sie hatte die Nummer noch nicht zu Ende gewählt, als der Chefarzt nach kurzem Anklopfen noch mal ins Zimmer kam. Dr. Eidsvags Gesicht war ernst. »Andrea, wir sollten unbedingt noch eine weitere Untersuchung vornehmen. Und zwar im Zentralkrankenhaus in Gravdal. Dort kann man eine CT machen.«
51
M agnus stand an der Reling und schaute den Weißschnauzendelfinen zu, die seit einer Viertelstunde dem Boot der Forscher das Geleit gaben. Es waren Jungtiere, die sich unbekümmert im schmalen Fjord tummelten. Sie sprangen übermütig hoch, schwammen ein paar Meter vom Boot weg – und kamen in den nächsten Minuten wieder zurück. Es war still, die See war glatt, Magnus hörte nur das Ausatmen der Delfine.
»Das gibt’s selten.« James stellte sich neben seinen Freund und sah dem Spiel der Tiere zu. Jetzt kamen noch drei kleinere Wale, die sich an dem übermütigen Treiben der Delfine beteiligen wollten. Es war ein faszinierendes Schauspiel, und die Männer sahen zu, bis sich die Black Nessy dem Hafen von Hammerfest näherte und die Tiere zurückblieben. »Wenn wir angelegt haben, will ich für ein paar Stunden rüber zur Insel Seiland«, sagte James. »Den Nationalpark dort kenne ich noch gar nicht. Und du?«
»Ich war vor drei Jahren mal dort und habe mir den Seilandsjokul angesehen. Es ist, wie du vielleicht weißt, der nördlichste Gletscher Norwegens, die Aussicht auf die Eisfläche ist gigantisch. Das musst du dir ansehen.«
James, der seit fünf Jahren in Norwegen lebte, aber eigentlich von den englischen Orkney-Inseln stammte, nickte. »Das mach ich bestimmt. Und du?«
»Ich werde noch mal versuchen, vernünftig mit Lilian zu reden. Danach rufe ich Andrea an. An Land ist die Verbindung viel besser.«
Sie schwiegen und sahen ein paar kleinen, ein wenig plump wirkenden Papageientauchern nach, die auf Beutefang waren. Das Wasser, das jetzt einen silbergrauen Schimmer angenommen hatte und nicht mehr so düster wirkte wie auf hoher See, wirkte träge. Nur ein paar Wellen schwappten leise gegen die Schiffswand. Kleine, wie mit einem zarten Pinsel an den Himmel gemalte Wolken verkündeten gutes Wetter.
»Im nächsten Jahr sollten wir uns verstärkt um die Kaltwasser-Korallenriffe kümmern«, erklärte James. »Die wenigsten Menschen wissen, dass es auch hier, im Nordmeer, Korallen gibt.«
»Eine gute Idee.«
»Ihr könnt wohl von nichts anderem reden als von eurer Arbeit. Oder macht ihr das, damit ich außen vor bleibe, weil ich nicht genug von der Materie verstehe?« Lilian, in einer pinkfarbenen wattierten Seidenjacke, deren Kapuze mit Weißfuchs verbrämt war, stellte sich zwischen die Männer. »Nun tut nicht so pikiert! Ich hab begriffen, dass ich hier nicht willkommen bin.«
»Ach, Lilian, so ist das doch nicht.«
»Ach Lilian, ach Lilian! Fällt dir sonst nichts ein?« Sie beugte sich weit über die Reling. »Dieses kalte Grau da unten ist so abstoßend. Ich weiß wirklich nicht, was so reizvoll daran ist, diese Tiefen und ihre ekligen Bewohner intensiver zu erforschen. Mir reicht das Wissen, dass da jede Menge Fische sind, die gut schmecken.«
»Wenn es so weitergeht und wir nicht Obacht geben, sind die Fischbestände bald so gering, dass es sich nicht mehr lohnt, hier zu fischen. Und ölverschmierter Kabeljau dürfte auch dir nicht schmecken.«
»Puh, der Herr Oberlehrer hat gesprochen.« Lilian zog einen Flunsch. »Du bist langweilig, Magnus. Ich hab gar nicht gewusst wie langweilig. Ich bin heilfroh, wenn ich endlich von Bord kann.«
James hob kurz die Hand und zog sich zurück. Magnus nutzte das Alleinsein mit Lilian. »Wenn das so ist, fällt es dir ja sicher nicht schwer, die Trennung zu akzeptieren.« Er griff nach ihren Schultern, sah sie eindringlich an. »Lilian, begreif doch endlich … uns verbindet so wenig! Wir haben völlig andere Vorstellungen vom Leben. Du willst dich amüsieren, das Leben genießen … es ist absolut legitim, denn du kannst es dir leisten. Ich aber kann und will ein solches Leben nicht führen. Ich brauche meine Arbeit, eine sinnvolle Beschäftigung.«
»Das, was ich tue, ist also sinnlos in deinen Augen.«
»So hab ich das nicht gemeint.«
»O, doch!« Wütend funkelte sie ihn an. »Genau so denkst du über mich. Scheißkerl!« Sie ließ ihn an der Reling stehen und lief ins Innere des Schiffes. Magnus hörte sie dort schreien, ein paar Dinge fielen zu
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