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Mittsommersehnsucht

Mittsommersehnsucht

Titel: Mittsommersehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfie Ligensa
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fuhr sie fort: »Der Dialekt verrät die meisten Fremden, das ist auch noch nach Jahren so.« Wieder widmete sie sich für einen Moment ihrem Bild, bevor sie fragte: »Und – gefällt dir der Urlaub hier im Norden?«
    Für Sekunden blieb es still, dann gestand Andrea: »Ich mache keinen Urlaub. Eigentlich wollte ich in Bergen an einem Krankenhaus arbeiten, aber das werde ich wohl nicht tun.«
    »Du bist Krankenschwester? Die werden in unserem Land gesucht.«
    »Nein, Ärztin. Chirurgin, genau gesagt.«
    »Noch besser.« Die Malerin erhob sich und reichte Andrea die Hand. »Ich bin Evelyn Wahlstrom. Auf den Lofoten habe ich ein Sommerhaus. Und mein großes Atelier.« Sie zuckte mit den Schultern. »In Oslo verbringe ich allerdings gern einen Teil der dunklen Wintermonate. Ein bisschen Kultur, nette Restaurants, mal gehe ich ins Museum, und hin und wieder wird eine Ausstellung meiner Bilder organisiert …« Sie lächelte, und die kleinen Fältchen unter ihren fast schwarzen Augen vertieften sich. »Nach diesen turbulenten Wochen bin ich dann froh, wieder daheim auf den Lofoten zu sein.«
    »Das hört sich interessant an.« Andrea nahm an, dass Evelyn Wahlstrom von kleinen, privat organisierten Ausstellungen sprach. Banken, große Restaurants oder Bürohäuser stellten einheimischen Künstlern oft Flächen zur Verfügung, um ihre Objekte einem größeren Publikum zu präsentieren.
    »Die Malerei ist mein Leben.« Das klang nicht theatralisch, sondern wurde so ruhig ausgesprochen, dass es glaubhaft klang. »Ich würde mich freuen, wenn du mich mal besuchen kommst. Und vielleicht … vielleicht bleibst du ja auch in meinem Heimatland.«
    Andrea schaute hinüber zum Gletscher. »Es ist wunderschön hier«, sagte sie gedankenverloren. »Und ich kann mir schon vorstellen, für eine Weile in Norwegen zu arbeiten, auch wenn …« Sie brach ab.
    »Du meinst, auch wenn sich deine Träume von Liebe und Glück nicht erfüllt haben.« Die Malerin legte ihr die Hand auf den Arm. »Es kommt immer so, wie es kommen muss. Unser Schicksal bestimmen wir nicht selbst, das lenkt ein anderer.« Sie klappte den Zeichenblock zu. »Wir sollten noch mal intensiver miteinander reden. Unser alter Doktor, der schon seit Jahrzehnten in der Gegend praktiziert, könnte Hilfe brauchen, das weiß ich. Vor drei Jahren ist er noch regelmäßig mit dem Hubschrauber zu den Bohrinseln geflogen oder mit dem Boot auf die weiter entfernt liegenden Inseln. Das kann er einfach nicht mehr. Zu krank. Das Herz macht ihm zu schaffen.«
    »Und wer versorgt die Patienten?«
    »Wenn es ein gravierendes Problem gibt, werden sie mit dem Hubschrauber abgeholt und in das Zentralkrankenhaus von Gravdal gebracht. Ansonsten müssen die alten Hausmittel helfen, wenn Johan Ecklund nicht kommen kann und die wenigen anderen Hausärzte zu weit entfernt wohnen.«
    Andrea erwiderte nichts mehr, und auch die Malerin kam nicht mehr auf das Thema zurück. Gemeinsam spazierten sie noch einen Kilometer näher ans Eisfeld heran, doch als hinter den Bergen urplötzlich dunkle Wolken aufzogen und ein eisiger Wind aufkam, kehrten sie eilig zurück.
    Das Blaugrün des Gletschereises wandelte sich zu hellem Grau, der See, eben noch von der Sonne erwärmt, wirkte plötzlich kalt und bedrohlich, kleine Wellen, auf denen helle Schaumkronen tanzten, schwappten an Land. Ein paar Vögel brachten sich kreischend in ihren Nestern an den Felsen in Sicherheit, und der Reiseleiter, ein etwa fünfzigjähriger Norweger mit hellblondem, halblangem Haar und einer blauen Strickmütze auf dem Kopf, ohne die man ihn kaum sah, mahnte die Touristen zur Eile.
    Es dauerte keine zehn Minuten, dann brach ein Unwetter los, wie Andrea noch keins erlebt hatte. Hart klatschten die Regentropfen auf das Dach des Busses, der immer noch auf dem Parkplatz von Mo i Rana stand, denn an Weiterfahren war nicht zu denken, die Straßen waren überflutet, wie eine graue Wand fiel der Regen vom Himmel.
    Andrea duckte sich tief in ihren Sitz. Neben ihr, auf der anderen Gangseite, saß Evelyn Wahlstrom, die das Tosen der Naturgewalten draußen gelassen hinnahm. Für sie waren diese Stürme, das Tanzen der grauen Regentropfen auf den Felsen, das schrille Singen des Sturms und die Stille, die dann plötzlich folgte und umso unerträglicher für Fremde war, etwas Normales.
    »Keine Angst, in einer Stunde weißt du nichts mehr davon. Das Wetter wechselt hier rasch.« Sie wühlte in ihrer großen, bunt gewebten Umhängetasche herum und

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