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Mittsommersehnsucht

Mittsommersehnsucht

Titel: Mittsommersehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfie Ligensa
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rondheim mit seinem imposanten Nidarosdom, die große, 8274 Meter lange Atlantikstraße, der beschauliche Ort Kristiansund und die Überquerung des Polarzirkels – Andrea sah und merkte von alledem nichts, denn sie kümmerte sich intensiv um Kim, der es sehr schlecht ging. Der Krampfanfall hatte das Kind unendlich viel Kraft gekostet.
    Ole wurde immer stiller. Die Falten, die sowohl die Jahre als auch der raue Seewind in sein Gesicht gegraben hatten, wurden zu tiefen Furchen. Er sprach kaum noch, ging nicht an Deck, aß wenig und saß stundenlang in einer Ecke der Kabine und schnitzte. Wenn Kim wach war und sich wohl fühlte, erzählte er ihr Geschichten und alte Sagen, er ließ die Zeit der Wikinger wieder aufleben und berichtete von den Abenteuern, die er als junger Mann mit seinem Vater und Großvater bestanden hatte, als sie bei rauer See und eisigen Temperaturen auf Robbenjagd gegangen waren.
    Andrea, die Kim häufig besuchte, hörte ebenso gebannt zu wie das kranke Mädchen.
    »Du solltest wenigstens heute einen Ausflug mitmachen«, schlug Ole vor, als das Schiff seine Fahrt verlangsamte. »Den Svartisen musst du dir ansehen. Er ist der zweitgrößte Gletscher Norwegens und von außergewöhnlicher Schönheit.« Noch ehe Andrea widersprechen konnte, fuhr er fort: »Gleich legt ein kleines Tenderboot an, das die Passagiere zum Ufer bringen wird. Dann musst du nur noch ein Stück mit dem Bus zum Gletscher fahren.«
    »Den Ausflug kann ich doch immer noch machen«, wandte Andrea ein. Ihr Blick ging zu Kim, die im Bett saß und in einem ihrer Schulbücher las. Ihr ging es seit dem frühen Morgen schon recht gut, sie lächelte und war schmerzfrei.
    »Fahr zum Gletscher.« Oles Stimme hatte etwas Beschwörendes. »Du wirst es nicht bereuen.«
    »Wenn Sie meinen.« Wieder einmal war Andrea diese höfliche Anrede, die sie von Deutschland her kannte, herausgerutscht.
    »Sag ruhig weiter du. Wir siezen nur sehr alte Menschen, vor denen wir Ehrfurcht haben. Wichtige, berühmte Persönlichkeiten … einen Stammesältesten vielleicht, den König und seine Familie …«
    »Ja, das leuchtet mir ein. Und es ist ganz in Ordnung so, finde ich.«
    Kim drehte den Kopf zur Seite. Sie trug heute wieder ihre Perücke, Andrea hatte ihr zwei große gelbe Schleifen ins dunkle Haar gebunden, was Kim entzückte. »Fahr mit zum Gletscher«, bat sie jetzt. »Man muss immer tun, was Ole sagt.«
    Mo i Rana hieß der kleine Ort, von dem aus man den riesigen Gletscher ohne Schwierigkeiten erreichen konnte. Nachdem sie das Tenderboot verlassen hatten, fuhren die Passagiere der Midnatsol ein paar Kilometer mit dem Bus zurück in Richtung Polarkreis. Die Berge, die rechts und links der Straße aufragten, waren im unteren Drittel mit Flechten und niedrigen Sträuchern bedeckt, auf den Spitzen schimmerten die Reste des Schnees, der kaum einmal ganz wegschmolz. Die Sonne ließ die Millionen kleiner Eiskristalle, die auf der ewigen Schneedecke lagen, wie Diamanten glitzern.
    Ein Raunen ging durch den Bus, als sich zum ersten Mal der Blick auf das in hellem Türkisblau schillernde Eisfeld auftat. Andrea hielt den Atem an. So etwas Beeindruckendes wie dieses Gletscherfeld, dessen Zunge bis fast zum grün schimmernden See reichte, hatte sie nie zuvor gesehen.
    In ihrem Reiseführer hatte sie gelesen, dass der Svartisen mit 370 Quadratkilometern der zweitgrößte Gletscher Norwegens war und 60 Gletscherarme besaß. Andrea konnte nur einen kleinen Bruchteil der gigantischen Eismassen sehen, doch das, was sie sah, war von überwältigender Größe und Schönheit.
    Eine etwa vierzigjährige Mitreisende, die Andrea schon in Molde aufgefallen war, weil ihre schulterlangen Haare von intensivem Rot waren, ließ sich abseits des Weges auf einem mit Flechten bedeckten Felsen nieder. Aus ihrem Rucksack zog sie einen Block und begann mit wenigen Strichen die Landschaft zu skizzieren.
    Andrea trat neben sie. »Darf ich mal sehen?«
    »Natürlich.« Die Malerin reichte ihr den Block. »Eigentlich male ich nur selten Landschaften, aber dieser Gletschersee und das ewige Eis …«, sie zuckte mit den Schultern, »das sollte man unbedingt festhalten. Dieses Szenario ist einzigartig.«
    »Du malst professionell, nicht wahr?«
    Die rothaarige Norwegerin strich sich eine Haarsträhne hinters linke Ohr. »Ja.« Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. »Du kommst nicht von hier, oder?«
    »Nein. Ich bin Deutsche.«
    »Man hört’s.« Sie machte noch ein paar Striche, dann

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