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Mittsommersehnsucht

Mittsommersehnsucht

Titel: Mittsommersehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elfie Ligensa
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eine leicht verbogene silberfarbene Brille.
    Der alte Mann, der in einer Ecke des Zimmers saß, sah ihr mit skeptischem Blick entgegen. Er saß in einem Korbstuhl, im Rücken ein Rentierfell. Neben ihm, auf einem schmalen Holzregal, standen zwei Buddelschiffe und ein breites Wikingerschiff. Größere und kleinere Stoßzähne waren, wie Trophäen, aufgereiht.
    »God dag«, grüßte Andrea und streckte dem Alten die Hand hin. »Ich bin Dr. Andrea Sandberg und möchte nach dir sehen.«
    »Eine Frau? Nein!« Olaf Björnsen hob abwehrend den Arm, was ihm allerdings sichtlich Schmerzen bereitete. »Du fasst mich nicht an! Was versteht so ein junges Ding denn von meiner Krankheit?«
    »Eine Menge, denke ich. Seit Jahren arbeite ich als Ärztin, das kannst du mir glauben. Im Augenblick vertrete ich Johan Ecklund.«
    »Nein!« Der Alte wollte aufstehen, sank aber mit einem unterdrückten Stöhnen in den Sessel zurück.
    »Sei endlich vernünftig, Vater.« Trine stellte sich neben ihn. »Ich hab die Doktorin nicht umsonst hergeholt. Also, sag, was dir weh tut.«
    Es dauerte noch eine Weile, ehe der alte Björnsen sich mit einer Untersuchung einverstanden erklärte. Und es dauerte eine ganze Viertelstunde, bis Andrea herausgefunden hatte, dass er die verschriebenen Medikamente einfach weggeworfen hatte.
    »Das geht so nicht. Du musst die Tabletten nehmen.« Sie steckte das Stethoskop in die Tasche zurück und nahm ein Ärztemuster heraus. »Das hat Johan Ecklund doch sicher auch gesagt.«
    »Ärzte! Alles Scharlatane! Ich weiß, dass meine Zeit bald zu Ende ist. Warum soll ich dem Schöpfer im Himmel ins Handwerk pfuschen?«
    Trine griff nach der Tablettenpackung. »Er wird sie schlucken, Doktor Andrea, keine Sorge.« Ihr Gesicht drückte Entschlossenheit aus. »Braucht er noch was?«
    »Ich gebe ihm heute eine Spritze, das wird den Druck von der Brust nehmen. Und dann müsstet ihr die Medikamente, die ich aufgeschrieben habe, in der Apotheke besorgen.« Das Rezept gab sie gleich Trine.
    »Wird alles besorgt. Und jetzt lass dir die Spritze geben, Vater.«
    Der alte Mann biss die Zähne zusammen und wandte den Kopf ab, als Andrea ihm den Arm abband und die Injektion verabreichte. Olaf Björnsen, der in seinem langen Leben sicher Tausende Fische ausgenommen und auch in jungen Jahren als Walfänger gearbeitet hatte, konnte es nicht ertragen, sein eigenes Blut zu sehen.

35
    W ie vertraut ihr der Geruch des Hauses doch schon war! Da war der Duft nach altem Holz, nach Birgits herrlichen Backwaren, nach getrockneten Kräutern – und ein bisschen auch nach Medikamenten. Die Dielen knarrten leise, das Windspiel aus Muscheln, das Birgit draußen überm Vordach angebracht hatte, sang im Wind.
    Andrea musste schmunzeln, als sie – so mechanisch wie seit Tagen – die zwei Bilder gleich neben der Tür zur Küche gerade rückte. Wann immer Birgit hier vorbeiging, schien sie an diese alten Fotografien zu rühren. Jedenfalls hingen die Fotos schief, sooft Andrea sie ansah. Sie zeigten das Doktorhaus im Winter, tief verschneit, das Dach schien die Schneemassen kaum tragen zu können. Doch in den Fenstern schimmerten Lichterbögen, spendeten tröstliche Helligkeit. Neben der Haustür stand eine junge Frau, sie trug einen Pelzmantel und eine Pelzmütze, die so groß war, dass ihr zartes Gesicht kaum zu erkennen war – Johans vor zwanzig Jahren verstorbene Frau Ella.
    Auf dem zweiten Bild lag das Doktorhaus im Sonnenlicht. Weiß glänzte das weitläufige Holzhaus, vor den hellblau gestrichenen Fenstern bauschten sich die Gardinen, im Vorgarten blühten Rittersporn und rote Rosen. Ein alter Volvo war links vor dem Haus geparkt, daneben stand Ella und lachte in die Kamera.
    Es waren verschiedene Jahreszeiten, doch es war immer Ella. Lachend. Lebenssprühend. Sichtlich glücklich.
    Leise Wehmut ergriff Andrea immer, wenn sie diese Fotos betrachtete. Wie rasch verging doch das Glück. Wie schnell konnte eine harmonische Zweisamkeit von einem grausamen Schicksal zerstört werden.
    »Birgit, ich bin zurück!« Sie steckte den Kopf kurz in die Küche. Wie so oft stand Birgit am Küchentisch und bereitete eine Mahlzeit zu. Diesmal machte sie ihren berühmten Krabbensalat.
    »Johan schmeckt das Essen in der Klinik nicht.« Sie wies auf die Schüssel. »Morgen nehme ich ihm was mit. Den Apfelkuchen, den er sich gewünscht hat, mache ich später noch. Ich bin jetzt erst mal mit Inga von gegenüber verabredet.« Schon band sie sich die Schürze ab, dann

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