Mittsommerzauber
männlich schönes Gesicht, als er sich plötzlich über sie beugte und mit den Lippen vorsichtig ihren Mund berührte.
Als er den Kopf wieder hob, stand ein fragender Ausdruck in seinem Gesicht. »Was tun wir jetzt?«, flüsterte er.
Eva atmete mühsam ein. »Ich... Ich suche eine Spinnerei für die Wolle. Und du wirst zurück nach Stockholm fahren und einen neuen Schokoriegel erfinden.«
»Wirklich?« Sein Blick bannte sie bis in ihre Seele. Er beugte sich erneut über sie, und diesmal beschränkte er sich nicht auf eine kurze Liebkosung. Er umfasste ihren Kopf mit beiden Händen und hob ihn halb an, während sein Mund den ihren förmlich verschlang.
Sie erwiderte seinen Kuss und drängte sich dabei mit ihrem ganzen Körper an ihn, um die Hitze seines Verlangens zu spüren. Sie fühlte sich wie die sprichwörtliche Motte, die zu nah ans Licht geflogen war und jetzt verbrannte. Es war verrückt, gefährlich, unverantwortlich - und wundervoll.
Sie hätten es ganz sicher nicht bei diesem Kuss belassen, wenn nicht plötzlich draußen eine Männerstimme gerufen hätte.
»Gustav? Bist du da drin?«
David war kaum aufgesprungen, als auch schon jemand in der offenen Stalltür erschien und zu ihnen hereinspähte. Eva stand ebenfalls auf und fuhr sich hastig durch die Haare - eine sinnlose Geste, denn das, was sie auf dem Kopf hatte, fühlte sich mindestens ebenso verfilzt an wie die Wolle, die überall in großen Haufen herumlag. Außerdem war sie von oben bis unten mit Schafsmist, Blut und Desinfektionsmittel beschmiert, und mit dem großen Riss in ihrer Bluse war auch nicht gerade viel Staat zu machen.
Der Besucher war ein Mann in mittleren Jahren, mit verkniffenen Gesichtszügen und ausgeprägten Tränensäcken. Er stellte sich als Emil Martinsberg vor und teilte ihnen mit, dass er zufällig gerade in der Nähe gewesen sei und sich bei der Gelegenheit vergewissern wolle, ob mit Gustav alles in Ordnung sei.
»Er wird morgen operiert«, sagte Eva. Sie hatte den vagen Eindruck, dass David ihr ein bestimmtes Zeichen geben wollte, doch im Moment stand sie auf der Leitung. Sie war noch völlig durcheinander wegen des Kusses.
»So«, sagte Martinsberg knapp. »Dann suche ich mir eben einen anderen Lieferanten.«
»Gustavs Käse ist außergewöhnlich gut«, wandte David ein. »Ihre Kunden werden sicher nicht darauf verzichten wollen.«
»Es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben. Sagen Sie Gustav, es tut mir Leid.« Er wandte sich zum Gehen.
Jetzt erst merkte Eva, was sie mit ihrer vorschnellen Auskunft angerichtet hatte. »Warten Sie! Ähm, ich hatte vorhin gar nicht erwähnt, dass... Nun, Gustav hat eine Aushilfe gefunden für die Zeit, in der er nicht da ist.«
Martinsberg runzelte die Stirn. »Eine Aushilfe?«
»Ja«, erklärte Eva. »Er macht jetzt hier die Arbeit.« Bei Er zeigte sie auf David, der, wie sie fand, für einen Moment etwas begriffsstutzig dreinschaute, dann aber mit bewunderungswürdiger Überzeugungskraft ihr Spiel mitspielte.
»Hab ich Sie nicht schon im Krankenhaus gesehen?«, wollte Martinsberg wissen.
»Sicher«, sagte David. »Das war, als Gustav mich eingestellt hat.«
»Und was ist jetzt mit dem Käse?«
»Den bekommen Sie schon«, behauptete Eva.
Damit gab Martinsberg sich fürs Erste zufrieden. Als er gegangen war, schaute Eva zu David auf, der sie frech angrinste. »Kann es sein, dass ich verrückt geworden bin?«, fragte er.
»Kann schon sein«, kicherte sie. »Aber wäre das so schlimm?«
»Ein Abenteuer ist es auf jeden Fall.« Sein Lächeln wurde breiter. »Vor allem die Sache mit dem Käse.«
»Ich liebe Abenteuer«, sagte Eva, diesmal völlig ernst. Sie hörte Martinsbergs Wagen davonfahren. Halb hoffte, halb bangte sie, dass sie jetzt da weitermachen würden, wo sie vorhin aufgehört hatten.
David hatte ebenfalls aufgehört zu lächeln. Ohne große Umstände zog er sie in seine Arme, und als sein Mund ihre Lippen berührte, wusste Eva, dass die Zeit für Spielchen endgültig vorbei war.
*
Eva hatte das Gefühl, jeder müsse ihr ansehen, dass ihre Welt neuerdings Kopf stand. Obwohl sie in aller Eile geduscht und sich umgezogen hatte, war sie erhitzt und verlegen, als sie den Laden betrat. Sie blieb mit gesenktem Kopf neben der Eingangstür stehen, bis Malin die Kundin, der sie gerade ein Schaukelpferdchen verkauft hatte, fertig bedient hatte.
»Da bist du ja endlich«, sagte Malin, als die Kundin den Laden verlassen hatte. »Was treibst du eigentlich den
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