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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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in dem Raum, jedenfalls erschien es Merrily so, eine merkwürdige, traumartige Atmosphäre. In einem altmodischen Radioschrank standen zwei Flaschen Johnnie Walker. Außerdem standen mehrere abschließbare Bücherschränke im Raum. Die Beleuchtung bestand aus einer getöpferten Ölleuchte, die zu einer elektrischen Lampe umgebaut worden war.
    Athena White setzte sich auf das hohe Holzbett und zog die Beine in einer beinahe yogaartigen Position an, nachdem sie ihren Hausmantel bis über die Knie aufgeknöpft hatte. Merrily saßziemlich unbequem auf einer Art Campinghocker neben der Tür. Ihr Kopf befand sich ungefähr auf einer Höhe mit Miss Whites spitzen Knien. Miss White wirkte sehr entspannt, wie eine winzige Göttinnen-Figurine auf einem Sockel.
    «Also», sagte sie. «Was wollten Sie Sholto antun?»
    Sie ließ den Namen in der Luft hängen, bis Merrily ihn wiederholte.
    «Sholto?»
    Weiches Licht fing sich in Miss Whites Brillengläsern. «Waren Sie nicht imstande, ihn zu sehen?»
    Merrily antwortete nicht.
    «Kommen Sie, junge Mrs.   Gottesfrau, entweder Sie konnten ihn sehen oder nicht.»
    «Sagen wir, ich konnte es nicht.»
    «Das ist sehr schade. Haben Sie vielleicht eine Barriere in sich aufgebaut? Das tut Ihre Kirche doch, oder? Das ist wirklich sehr, sehr schade – Hindernisse aufbauen und sich in Missbilligung hüllen. Und doch», Miss White neigte den Kopf in milder Neugierde, «fürchten Sie sich.»
    «Das sehe ich nicht so.»
    «O doch. Angst erkenne ich immer. Sie fürchten sich aber nicht vor Sholto, oder?»
    «Kann ich daraus schließen, dass Sholto Ihr Geist ist?»
    «Wie scharfsinnig von Ihnen, das Possessivpronomen zu benutzen», sagte Miss White. «Ich muss sagen, Sie haben da einen grässlichen Job, Mrs.   Gottesfrau. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine Frau mit diesem Beruf kennenlerne.»
    «Warum nicht?»
    «Das ist etwas für Experten, oder sind Sie einfach als Thorpes Gefängniskaplan eingesetzt worden?»
    «Miss White   …»
    «Ihre Kirche funktioniert wie ein repressives totalitäres System.Jeder hat ein tolles Radio, aber ihr wollt, dass die Leute nur den Staatsfunk hören. Und immer, wenn sich der Vorhang versehentlich ein bisschen öffnet und ein grandioser Ausblick sichtbar wird, rennt ihr los und zerrt ihn wieder zu.
Darin
besteht doch Ihr Job, oder etwa nicht?»
    «Die Seelenpolizei», sagte Merrily. «Sie sollten sich mal mit meiner Tochter treffen.»
    «Ach je, sind Sie überhaupt schon alt genug, um eine Tochter zu haben?»
    «Lassen wir die Schmeicheleien, Miss White. Was versuchen Sie mir zu sagen?»
    «Ich versuche es nicht nur, ich
sage
Ihnen», Miss White sah Merrily direkt an, sodass sich das Licht auf ihren Brillengläsern in zwei Leuchtpunkte verwandelte, «dass Sie ihn in Ruhe lassen sollen.»
    «Sholto?»
    «Haben Sie überhaupt die geringste Vorstellung davon, wie man an einem Ort wie dem hier lebt, an dem alles grau in grau ist und Romanzen nur noch in den Erinnerungen existieren?»
    «Dieses Zimmer hier kann man wohl kaum grau in grau nennen.»
    «Mögen Sie meinen Adlerhorst?»
    «Es ist sehr gemütlich hier.»
    «Gemütlich!», rief Miss White angewidert aus. «Pah!»
    «Aber zurück zu Sholto – diesen Namen haben Sie ihm gegeben, oder?»
    «Das, meine kleine Gottesfrau,
ist
sein Name.»
    «Kennen Sie seine Geschichte? Wissen Sie irgendetwas über ihn?»
    «Es gibt nichts, was ich nicht über ihn weiß. Manchmal ist er ein Wüstling und ein unverbesserlicher Salonlöwe, aber selbst dann ist er sehr, sehr charmant. Er sieht ein bisschen aus wie Ronald Colman, aber ich vermute, Sie sind zu jung, um   …»
    «Nein, ich habe ein paar von seinen alten Filmen gesehen. Und Sie haben ihn   … gesehen, wenn ich das recht verstehe.»
    «Was für eine dumme Frage.»
    «Und die anderen Damen?»
    «Tja, ich kann nicht für
alle
von den alten Schachteln reden. Sholto ist ziemlich wählerisch – die fetteren zwickt er vermutlich nicht in den Hintern.»
    «Was?»
    «Oh, meine Güte, jetzt starren Sie mich nicht so an! Er ist ein Kind seiner Zeit. Damals war es
verbreitet
, dass Männer Frauen in den Hintern gezwickt haben.»
    «Entschuldigen Sie», langsam verkrampfte sich Merrily auf dem unbequemen Hocker, «aber worüber genau reden wir hier eigentlich? Wer   … oder was ist Sholto Ihrer Meinung nach?»
    «Was er meiner Meinung nach ist?» Die Elfe klang jetzt ein bisschen gehässig, und weiße Lichterbündel schienen aus ihrer Brille zu schießen. «Was

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