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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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wartest du noch?
    Sie hatte nicht gut geschlafen, aber immerhin hatte sie überhaupt bis fünf Uhr geschlafen – in ihrem Bett, das in der Mitte des Zimmers in einem Salzkreis gestanden hatte. Den hatte sie natürlich aufgekehrt, bevor sie aus dem Pfarrhaus gegangen war, man konnte ja nie wissen, ob nicht Jane unerwartet ihren Kopf in Merrilys Schlafzimmer stecken würde und   …
Gott bewahre!
    Sobald Merrily aufgestanden war, hatte sie sich etwas beschämt vors Fenster gekniet und Gott um Verzeihung gebeten, falls Er sich durch den Kreis und das Salz beleidigt fühlte. Trotzdem war sie unendlich dankbar gewesen. Zum ersten Mal seit Tagen war sie aufgewacht, ohne dass sie sich schlecht oder beschmutzt fühlte.
    Aber wem sollte sie dankbar sein? Sie hatte um ruhigen Schlafund für die Seele Denzil Joys gebetet. Beunruhigenderweise war es die orange-goldene Kugel Athena Whites gewesen, die ihren Träumen Glanz und Farbe verliehen hatte.
    Hatte sie die Grenze zur New-Age-Verrücktheit schon überschritten? Jane-Land betreten? Und jetzt wollte sie auch noch Chorhemd und Soutane verbrennen?
    Am Vorabend war ihr das, halb hypnotisiert von der außergewöhnlichen Miss White, noch vollkommen logisch erschienen. Aber jetzt fühlte sie sich immer unwohler – mit diesen Messgewändern ein Lagerfeuer zu veranstalten war frevelhaft, eine symbolischere Absage an ihr Amt gab es wohl kaum.
    Es brannte kein Licht. Auch ihre Taschenlampe war ausgeschaltet. Vermutlich hatte Ted nach dem Einbruch eine Bürgerwehr aufgestellt, die nach Eindringlingen Ausschau hielt. Merrily fühlte sich wie eine Diebin. Die Entwendung und Zerstörung von Messgewändern   …
    Verbrenne sie.
    Aber wo? Im Kamin? Im Garten, auf einem Scheiterhaufen ihres Glaubens?
    Es war gut gemeint. Als Mensch hatte sie keinerlei Einwendungen gegen Athena White. Ihr Rat war   … gut gemeint.
    Merrily dachte an den vergangenen Abend, als sie an der Spüle gestanden hatte, um ihre Wärmflasche mit heißem Wasser zu füllen, und   …
seinen
Geruch gerochen,
seine
Finger gespürt hatte   …
Kratz-Kratz
… Und dann war Ethel, die Katze, die bis Anfang der Woche immer am Fußende von Merrilys Bett geschlafen hatte, hinter Jane die Treppe hinaufgelaufen.
    «Verfolgen Sie es bis zu seinem Ursprung zurück»
, hatte Athena White gesagt. Also war Merrily in ihr Spülküchen-Büro gegangen, um auch diesen Rat der verrückten Alten zu befolgen. Sie hatte auf der Alfred-Watkins-Station angerufen und Eileen Cullen nach der Adresse von Joys Witwe gefragt.
    Eileen hatte erstaunt gefragt: «Glaubst du, dass es da ein Problem geben könnte? Müsste die arme Frau nicht eher erleichtert sein?»
    «Manchmal funktioniert es nicht so», hatte Merrily gesagt. «Vielleicht hat sie sogar Schuldgefühle, weil sie nicht da war, als er gestorben ist.»
    Sie würde zu Mrs.   Joy fahren und die gesamte Exorzisten-Ausrüstung mitnehmen.
    Sie zog die Gewänder von den Bügeln. Sie waren natürlich seit dem Abend von St.   Cosmas und St.   Damian gewaschen worden. Merrily legte sich das Chorhemd und die Soutane über den Arm. Die Taschenlampe schaltete sie auch jetzt nicht an. Sie öffnete die Schranktüren so weit es ging und tastete sich durch die Gewänder, um sicher zu sein, dass sie die richtigen herausgezogen hatte.
    Und dabei fand sie den Männeranzug.
    Wie?
    Sie hielt die Taschenlampe ins Innere des Schrankes und knipste sie an. Der Anzug hing auf einem Kleiderbügel ganz am Ende der Stange, sodass man ihn nur sah, wenn man die Schranktür ganz weit öffnete.
    Merrily steckte den Kopf in den Schrank, um sich den Anzug genauer anzusehen. Er war dunkelgrün mit hellbraunen Nadelstreifen, aus schwerem Stoff und ziemlich abgetragen. Sie berührte ihn. Er fühlte sich feucht an.
    Beinahe nass.
    Merrily schrie auf. Jetzt hatte sie ihr Zeichen.
    Keuchend stand sie in der mondbeschienenen Sakristei.
    Der schwache Geruch, den der Anzug verströmte, hatte einen Arzt im General Hospital an Wundbrand und Katzenpisse erinnert.
     
    Es war ungefähr acht Uhr, der Morgen war bewölkt, aber frei von Nebel, als Lol den Jungen in der Uniform der Cathedral School sah, der sich vor dem Haus in der Church Street herumdrückte. Er ging hinunter, und der Junge kam zu ihm herüber. Er war stämmig, dunkelhaarig, und er lächelte Lol erstaunlicherweise ziemlich verlegen an. Es war Eirion Lewis, der mit James in der Band spielte.
    «Ich habe gehofft, Sie hier zu treffen, Mr.   Robinson. Ich will   … ich

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