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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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sie sagen konnte.
    «Kann ich irgendetwas für Sie tun, Kanonikus Dobbs?»
    Er sah sie lange an. Sie konnte sich nicht rühren.
    Schließlich ging er, ohne seinen Gesichtsausdruck im Mindesten verändert zu haben, an ihr vorbei und verließ die Kathedrale.

8
Schöne Theorie
    Jahrelang hatte Dick Lyden in London ein ziemlich stressiges Leben geführt. Jetzt waren er und seine Frau Psychotherapeuten in Hereford. Dicks Wangen waren rosig geworden, sein Gewicht hatte erheblich zu- und sein Einkommen erheblich abgenommen, und er war ein viel glücklicherer Mann als zuvor.
    «Und Moon – hat sie endlich ihr spirituelles Zuhause gefunden?» Er strahlte, seine Füße lagen auf dem Schreibtisch. «Wie geht’s Moon?»
    «Moon   …» Lol zögerte. «Also, wegen Moon bin ich eigentlich gekommen.»
    Dick und Ruth lebten und praktizierten auf der Westseite der Stadt in einer Hälfte eines edwardianischen Reihenhauses, das nicht weit vom alten Wasserturm entfernt stand. Von Dicks Mansardenbüro aus hatte man einen Blick über die Stadt hinweg auf den Dinedor Hill, den Lol nun wie gebannt ansah. Als Dick ihn zum Sprechen aufforderte, indem er die Arme ausbreitete, zog Lol seinen Stuhl vom Fenster weg und erzählte Dick von der Krähe, die Moon angeblich geheimnisvollerweise tot vor die Füße gefallen war.
    Dick schwang die Füße vom Schreibtisch, rieb sich die Stirn und schob dabei ein paar leicht ergraute Haarsträhnen zurück. «Und glaubst du, dass es wirklich so passiert ist?»
    «Ich war nicht dabei.»
    «Also könnte sie die Krähe genauso gut in einer Hecke gefunden und sich den Rest ausgedacht haben.»
    «Das ist möglich», sagte Lol.
    «Und das Blut   … Sie hat wirklich   … Das ist ungewöhnlich.» Dick rieb die Hände aneinander und betrachtete sinnend eine Stuckleiste an der Decke. «Andererseits, auch wenn wir es ekelhaft finden, hat sie schließlich ein paar Jahre damit verbracht, in der Erde rumzuwühlen und alte Schädel auszugraben, in deren Augenhöhlen es vor Würmern gewimmelt hat.»
    «Das ist aber nicht das Gleiche.»
    «Stimmt», räumte Dick ein. Und dann sagte er, was sie hier vor sich hätten, sei eine sehr ausgefeilte Phantasiewelt, die man problemlos mit diesen komplizierten Computerspielen vergleichen konnte, die sein Sohn James gespielt hatte, bevor er die Rockmusik entdeckt hatte. Nur dass in Moons Phantasien nicht Drachen und Dämonen die Hauptrolle spielten, sondern historisch belegbare Tatsachen.
    «Versuchen wir mal eine Analyse.» Dick zog einen Notizblock heran und fing an, Kreise daraufzumalen, die er mit Linien verband.
    «Was haben wir hier also? Eine extrem intelligente Frau mit einem Abschluss in Archäologie und ein paar Jahren Erfahrung in der Feldforschung   … und dieses allumfassende, fanatische Interesse für die Kultur der Eisenzeit, eine Besessenheit, müsste man sagen – der keltische Schmuck, die merkwürdigen Wollkleider. Trägt sie immer noch diese grässliche Schaffellweste?»
    «In letzter Zeit nicht.»
    «Wenigstens etwas. Also   … plötzlich wird ihr klar, dass sie diese Besessenheit im Kontext ihrer eigenen Familiengeschichte erklären kann. Man hat ihr erzählt, dass ihre Familie von diesem speziellen Fleckchen Erde stammt, das schon im Frühmittelalter und davor besiedelt war – das ist womöglich vollkommener Unsinn, aber das spielt keine Rolle. Sie entwickelt die Vorstellung, dass ihr Lebenszweck in der Aufdeckung ihrer Familiengeschichtebesteht, und zwar aufgrund der
Stelle
, an der sie geboren wurde – die nämlich direkt neben dieser Eisenzeit-Festung liegt, oder was immer es ist.»
    Dick zeichnete eine grobe Hügelform mit Zinnen obendrauf.
    «Vielleicht glaubt sie   … dass es hier irgendein großes Geheimnis gibt   … das nur sie allein lüften kann. So eine Art Heiliger Gral. Aber worum es ihr in
Wirklichkeit
geht   … ist die Erklärung für den Selbstmord ihres Vaters.»
    Dick lächelte Lol zufrieden an. Er liebte es, Querverweise zu entdecken.
    «Wer weiß? Wer weiß, Laurence, welche Schrecken sich im Hirn eines zweijährigen Kindes unter solchen Bedingungen einnisten? Außerdem wurde Dinedor Hill anschließend totgeschwiegen, Denny ist explodiert, sobald die Rede auf ihren Vater kam. Alles war so
geheimnisvoll
. Sie will einfach nicht glauben, dass sich ihr alter Herr umgebracht hat, weil er die Familie ruiniert hat. Sie glaubt, dass mehr dahintersteckt.»
    «Dieser Grund ist vollkommen ausreichend», sagte Lol. «Mit dem Verlust

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