Mittwinternacht
des Bauernhofs hat er nicht nur seine Familie, sondern auch seine Ahnen im Stich gelassen. Dutzende von Bauern haben sich in den vergangenen Jahren aus genau den gleichen Gründen umgebracht. Noch dazu reden wir über eine sehr alte Familie.»
«Genau. Und sie sieht hinter alldem ein monumentales Familiengeheimnis, mit sämtlichen pseudomystischen und übersinnlichen Untertönen aus James’ idiotischen Computerspielen.»
«Ist das gut, Dick? Dass Moon im Zentrum einer Phantasiegeschichte lebt?»
«Ich sehe nicht, warum es unbedingt
schlecht
sein sollte. Und wenn es ihr Material für ihr Buch liefert … Wissen wir, welche Sorte Buch sie eigentlich schreiben will?»
«Eine Geschichte des Dinedor Hill, gesehen durch die Augen der Menschen, die heute dort leben …»
«Super», unterbrach Dick.
«… und der Menschen, die vor über zweitausend Jahren dort lebten.»
«Auf der Basis archäologischer Befunde und dessen, was sie als ihr eigenes instinktives Wissen von den Ahnen empfindet? Das könnte ein sehr bedeutendes Buch werden, oder? Ich kann mir gut vorstellen, dass sie dafür einen Verlag findet. Ich könnte selbst mit ein paar Leuten reden.»
«Ich weiß nicht recht.» Lol hatte von Anfang an Zweifel an diesem Buchprojekt gehabt. Ein Buch war nicht wie ein Song; man konnte es nicht in ein paar Stunden raushauen, wenn einen gerade die Inspiration überfiel. «Sie erscheint mir nicht gut genug organisiert, um so etwas durchzuhalten. Zum Beispiel hat sich Denny ein paar Tage lang um den Laden gekümmert, weil sie sich in der Scheune einrichten wollte – angeblich. Aber heute Morgen hatte sich noch nicht das Geringste getan. Sie hatte die Umzugskartons noch nicht mal aufgemacht. Und genau das hat Dick vorausgesagt: Chaos und eine Moon, die in ihrer Traumwelt lebt.»
Dick zuckte mit den Schultern. «Na ja, dann macht sie nach der Aufregung des Umzugs eben eine Phase emotionaler Erschöpfung durch. Und danach spuckt sie in die Hände und fängt an, Ordnung zu schaffen. Damit fängt die Rehabilitation an. Ich gebe ihr noch ein paar Tage, und dann gehe ich zu ihr. Wir können auch zusammen gehen, wenn du willst.»
«Okay.»
«Du scheinst aber nicht zufrieden zu sein. Gibt’s noch etwas anderes, von dem du mir noch nichts erzählt hast?»
«Dick ist ein hoffnungsloser Fall! Eine komplette Niete. Er glaubt an nichts, was nicht in seinen Psychologie-Lehrbüchern steht.»
Moon hatte vorausgesagt, dass Dick eine großartige Theorie entwickeln würde, und genau so war es gekommen – auch ohnedass Lol die Geschichte von ihrem Vater vor dem Fenster erwähnt hatte.
«Musst du Dick Bericht erstatten?»
Dick riss das oberste Blatt von dem Notizblock und knüllte es zusammen. «Ich glaube, du spuckst es besser aus, Lol.»
Ja, das musste er. Das hier war eine berufliche Zusammenarbeit. Dick hatte auf einem Honorar für Lol bestanden, wenn er ein bisschen auf Moon achtete und jede Woche von den Entwicklungen berichtete. Es war ein bisschen verwickelt: Zuerst hatte Lol Dick für die Therapie bezahlt, und jetzt bezahlte Dick Lol.
Auf seine freundliche Art verhielt sich Dick jedoch etwas undurchsichtig. Lol war immer noch nicht sicher, ob es nicht Teil seiner eigenen Therapie sein sollte, dass er Moon beobachtete.
Lols Problem waren Frauen. Frauen und Religion.
Er war im Sommer zum ersten Mal zu Dick gegangen, als er noch dabei war, einen Käufer für sein Cottage mit dem rosenumrankten Gartentor in Ledwardine zu suchen. Dorthin war er mit einer Frau namens Alison gezogen, die ihn vor den düsteren Schatten seiner Vergangenheit inklusive diverser Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken gerettet hatte – jedenfalls hatte Lol das geglaubt. Tatsächlich hatte Alison allerdings ihre eigenen Gründe gehabt, nach Ledwardine zu gehen.
Die Leute, die wirklich versucht hatten, ihm zu helfen, stammten aus dem Dorf selbst. Dazu gehörten eine barsche alte Schachtel namens Lucy Devenish, die inzwischen nicht mehr lebte, und die Pfarramtsvertreterin der Gemeinde.
Zu dieser Zeit wollte Lol mit Pfarrern jeglicher Art nichts zu tun haben. Seine Eltern waren in diese grässliche radikal-evangelikale Kirchengemeinde eingetreten und hatten beschlossen, Lol mit seinen merkwürdigen Songs und seinem zweifelhaften Lebenswandel nicht länger als ihren Sohn anzusehen. Am Grabseiner Mutter hatte ihm sein Vater den Rücken zugedreht. Danach war Lol von tiefem Misstrauen gegen alles erfüllt, was einen Hundekragen trug, ohne
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