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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Kanoniker der Kathedrale. Er hatte sich in einen enormen Mantel gehüllt, auf dessen Brust ein Bart von griechisch-orthodoxen Dimensionen lag, zu dem seine erstaunlich zögernde und näselnde Stimme nicht recht passen wollte.
    «Als mich George anrief, um zu fragen, ob wir Michael informieren sollten», sagte Sophie, «habe ich vorgeschlagen, dass wir zuerst Sie hinzuziehen. Es ist alles sehr kompliziert.»
    «Hören Sie   … Wäre es nicht besser, wenn ich wüsste, worum es eigentlich geht?»
    «Erzählen Sie es ihr, George.»
    «Ja. Also   … Oje.» George Curtiss warf einen Blick über seine Schulter, um sicher zu sein, dass niemand zuhörte. Dann sprach er mit gesenkter Stimme weiter. «Es geht um den alten Tom Dobbs, fürchte ich.»
    «Merrily», Sophie schlang ihre Arme fest um ihren Körper, «er hat sich praktisch verbarrikadiert. Wir glauben, er ist   …»
    «Betrunken, fürchte ich», sagte George.
    «Was?»
    «Er ist hinter dieser Trennwand», sagte Sophie. «Sie wissen doch, dort wo sie das Cantilupe-Grabmal restaurieren.»
    «Er ist in   …»
    «Hat die Kette nach innen gezogen und das Vorhängeschloss einschnappen lassen. Er will nicht mit uns sprechen. Er redet einfach nur die ganze Zeit. Mit jemand anderem? Mit sich selbst? Ich weiß es nicht. Er redet und redet. Man versteht kein Wort, aber ich habe einfach   … Also, ich habe gedacht, Sie könnten   … Es ist alles so beängstigend.»
    «Das heißt», Merrily schluckte, «Sie gehen davon aus, dass das ein Fall für das Grenzfragen-Büro ist?»
    Was für eine dumme Frage.
    «O ja», sagte Sophie. «Ich glaube schon. Sie nicht?»
    George Curtiss trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. «Ich gehe davon aus, dass wir uns, äh, auf Ihre Diskretion verlassen können, Mrs.   Watkins, oder? Ich weiß, dass er ein merkwürdiger Knabe ist, aber ich bewundere dennoch, was er im Leben alles geleistet hat. Genauso   … genauso wie der Dekan.»
    «Aber ich kenne ihn doch gar nicht. Ich habe noch nie mit ihm gesprochen.»
    «Er, äh, also er hatte so seine Probleme», sagte George. «Fühlt sich ziemlich angegriffen – bedroht von gewissen Entwicklungen der jüngsten Zeit. In Anbetracht dessen würden wir den Dekan – und den Bischof – lieber heraushalten, jedenfalls in diesem Stadium.»
    «Aber ich
kenne
ihn nicht. Und er   …»
    «Aber Sie kennen sich mit
seiner Tätigkeit
aus, Merrily», flüsterte Sophie drängend.
    «Tue ich das?»
    «Mrs.   Watkins.» George Curtiss hustete. «Wir wissen alle über
seine Tätigkeit
Bescheid, äh, jedenfalls theoretisch. Wir sind einfach ein bisschen beunruhigt darüber   … was da drinnen vor sich geht.»
    «Sie möchten also, dass ich versuche mit ihm zu sprechen.»
    «Oder eher zuzuhören», Sophie zog ihren Schal zurecht. «Und dass Sie es für uns übersetzen.»
    «Mein Latein ist nicht mehr, was es einmal war», sagte George.
    «Latein?»
    George holte durch seinen struppigen Riesenbart tief Luft, doch seine Stimme klang weiterhin leise und schwach. «Nach meinem Eindruck spricht er mit, äh   … also mit   … mit St.   Thomas.»
    «Das verstehe ich nicht», sagte Merrily.
    «Glauben Sie vielleicht
wir
?» Sophie klang beinahe wütend.
     
    Sie folgte George Curtiss und seiner Taschenlampe um die Kathedrale zur St.-Johns-Pforte, die hauptsächlich von den Kanonikern und Kirchendienern benutzt wurde.
    Merrily trat so vorsichtig ein, als befürchte sie, Dobbs würde mit einem Kruzifix fuchtelnd auf sie zustürzen.
    Betrunken?
Wenn Dobbs ein Alkoholproblem hatte, dann hörte sie heute zum ersten Mal davon. Aber wenn der alte Exorzist zu einer öffentlichen Peinlichkeit wurde, konnte der Dekan ihn nicht länger unterstützen. Sonst würde er das Gesicht verlieren. Und wenn der Bischof etwas herausfand, würde er den größtmöglichen Vorteil für sich daraus ziehen – in aller Diskretion, versteht sich   –, um seine Stellung als Reformer zu festigen. Vermutlich würde er Dobbs’ Kopf rollen lassen und vielleicht den des Dekans gleich mit.
    Was für eine Schlangengrube!
    Obwohl es in der Kathedrale nicht wärmer zu sein schien als draußen, zog Merrily den Reißverschluss ihrer Jacke auf, um die Hand auf die kleine Erhebung ihres Pullovers zu legen. Ihr Brustkreuz.
    Die Atmosphäre in der Kathedrale wirkte nämlich völlig verändert.
    Elektrisiert?
    Sophie berührte sie am Arm. «Alles in Ordnung?»
    «Ja.» Merrily erinnerte sich daran, gelesen zu haben, dass sich gotische Kirchen

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